Im Zuge der Ausdifferenzierung von globalen Märkten, von digitalen Kommunikationsformen und transnationalen Verflechtungsdynamiken scheint die territoriale Ordnung von Staaten mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren. Gehört das Zeitalter territorialer Herrschaft der Vergangenheit an? Werden wir irgendwann in einem Europa ohne Grenzen leben? Ohne Zweifel gewinnen supranationale Organisationen wie die Europäische Union an Einfluss auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse.
Beim gegewärtigen Wandel von Souveränitätsansprüchen, Staatlichkeitstheorie und räumlichen Ordnungskonzepten setzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen an. Sie nehmen einen Europäisierungsprozess in den Blick, durch den sich nicht nur individuelle Rechtsansprüche und Zugangsbedingungen zu Märkten und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen verändern, sondern durch den sich neue Formen territorialer Herrschaft ausbilden. Territorialisierung ist zwar weiterhin eine zentrale Strategie, mit der soziale Prozesse gerahmt, Zugehörigkeiten bestimmt sowie Herrschafts- und Gültigkeitsräume definiert werden, nur liegen die Zuständigkeiten hierfür nicht mehr nur bei einem, sondern bei einer Vielzahl von nunmehr eingeschränkten Souveränen.
Obgleich sich Territorialität also gravierend verändert, werden die Raumbezüge politischen Ordnungshandelns in der Europäischen Union keineswegs schwächer, wohl aber komplexer. Postsouveräne Territorialität stellt eine historisch gewachsene, wenn auch bisher einzigartige Form kontinentaler Raumordnung dar, die sich im Kontext der europäischen Integration ausgebildet hat und die sich gegenwärtig und mit durchaus offenem Ende weiter fortschreibt.
قائمة المحتويات
Ulrike Jureit, Nikola Tietze, Postsouveräne Territorialität. Eine Einleitung
I. Europäischer Raum: Visionen – Begriffe – Ordnungskonzepte
Achim Landwehr, Im Zoo der Souveränitäten. Oder: Was uns die Präsouveränität
über die Postsouveränität lehren kann
Susanne Rau, Einheit Europa? Visionen und Figuren der Vormoderne
Nikola Tietze, ‘Räume und Träume’: Ordnungsimaginationen
in der Europäischen Union
II. Wachsende Räume und regulierte Nachbarschaften. Die Europäische Union und ihre Erweiterungslogiken
Jochen Kleinschmidt, Europäische Raumsemantiken. Überlegungen zu einem post-geopolitischen Selbstverständnis
Ulrike Jureit, Wachsender Raum? Die Europäische Union kommentiert ihre territorialen Erweiterungen
Steffi Marung, Die wandernde Grenze. Territorialisierungsentwürfe nach der EU-Osterweiterung 2004
III. Innen und Außen: Grenzkonstellationen im erweiterten Europa
Lena Laube, Postsouveräne Räume: Makroterritorien und die Exterritorialisierung der europäischen Grenzpolitik
Tobias Chilla, Grenzüberschreitende Verflechtung – ein Fall von postsouveräner Raumentwicklung?
Sebastian M. Büttner, Mobilisierte Regionen. Zur Bedeutungsaufwertung des subnationalen Raums in einem erweiterten Europa
IV. Europäischer Superstaat? Facetten einer räumlichen Transformation
Jens Wissel, Sebastian Wolff, Die Europäische Union als multiskalares Staatsapparate-Ensemble. Zum Zusammenhang von gesellschaftlicher
Regulation und strategischer Raumproduktion
Monika Eigmüller, Die Entwicklung des europäischen Rechtsraums als sozialpolitischer Anspruchsraum: Raumdimensionen der EU-Sozialpolitik
Petra Deger, Die Europäische Union als Gestaltungsraum – Postsouveräne Territorialität oder das Ende moderner Staatlichkeit?
Zu den Autorinnen und Autoren
عن المؤلف
Ulrike Jureit, Dr. phil., Historikerin, seit 2000 Gastwissenschaftlerin der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur im Hamburger Institut für Sozialforschung, 1997 Promotion an der Universität Hamburg, Lehrbeauftragte an der Leuphana Universität Lüneburg.
Nikola Tietze, PD Dr. phil., Soziologin, seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Hamburger Institut für Sozialforschung; 2013 Habilitation an der Universität Hamburg; Gastdozentin an den Universitäten Hamburg, Paris, Bordeaux; 1999 Promotion an der École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris und der Universität Marburg.