Im Frühjahr 1943 wurde in der Nähe des russischen Dorfes Katyn ein grauenvoller Fund gemacht: Massengräber mit Tausenden Toten. Die Täterschaft ist zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, wie die Autorin eindrücklich zeigt, und dennoch drehte sich die Geschichte der Massenerschiessungen von Katyn Jahrzehnte um die Frage, ob nun das ‘Dritte Reich’ oder Stalins Sowjetunion für das brutale Kriegsverbrechen verantwortlich war, dem im Frühjahr 1940 über 22000 polnische Armeeangehörige zum Opfer fielen. Inmitten der militärischen Schlachten des Zweiten Weltkriegs wurde ein ‘Täterkrieg’ entfacht: Während sich der deutsche Nationalsozialismus im Wald von Katyn als Entdecker sowjetischer Kriegsgräuel und als Bollwerk gegen den Roten Terror präsentierte, setzte sich der Stalinismus als Opfer einer Verleumdungskampagne der ‘Hitleristen’ in Szene.
Auf der Basis neu gelesener Dokumente und bisher unbekannter Quellen aus russischen Archiven und dem Archiv der DDR-Staatssicherheit legt Claudia Weber eine umfassende historische Analyse der Akteure, Mechanismen und Ziele der nationalsozialistischen und der stalinistischen Propaganda – ihrer Erfindungen, Täuschungsmanöver und Lügen – vor. Sie beschreibt die erstaunliche Wirkungsmacht und lange Dauer der diktatorischen Katyn-Inszenierungen, denen es gelang, die komplexe Geschichte des deutsch-sowjetischen Weltkriegsterrors auf eine gelöste ‘Täterfrage’ zu reduzieren. Der ‘Täterkrieg’ um Katyn war ein Scheingefecht, das noch in den ideologischen Geschichtsscharmützeln des Kalten Krieges in Westeuropa mit Verve ausgetragen wurde.
Table of Content
Einleitung
Verträge und Verbrechen
Im Lager
Bevölkerungsaustausch und Vernichtungsaktionen
Spione, Feinde, Ballast
Der gescheiterte Austausch
Die Erschießungen
Die Suche nach den Kriegsgefangenen
Katyn. Ein Propagandakrieg um Kriegsverbrechen
Die deutsche Inszenierung. Eine Sensation, die keine war
Im Krieg um Kriegsverbrechen
Propaganda und ‘Entdeckungsgeschichten’
Propaganda und Inszenierung
Besucher. Die Internationale Ärztekommission
Reaktionen. Die Katyn-Berichte von Sir Owen O’Malley und
John Van Vliet
Reaktionen. Die Polen im Generalgouvernement
Die sowjetische Inszenierung. Burdenkos Reise nach Orël
Das NKVD und die sowjetische Kriegsverbrechenpolitik
Der Auftrag. Burdenko und die Sonderkommission der CGK
Besucher und Reaktionen. Kathleen Harriman in Smolensk
Katyn vor Gericht. Das Nürnberger Militärtribunal und
Stalins Politik
Entsorgungsstrategien. Die sowjetische Katyn-Politik und
die Londoner Viermächtekonferenz
Exkurs: Stalins Personal
Der Konflikt um die Anklageschrift
Pokrovskijs Fehler und Stahmers Gesuch
Die Zeugenanhörungen. Stalins Niederlage in Nürnberg
Getrennte Geschichte – Katyn im Kalten Krieg
Aktivisten und Antikommunisten
Epizentrum New York. ‘Kreuzfahrer des Kalten Krieges’ und
das Katyn-Komitee
Die Gunst der Stunde. Der Katyn-Untersuchungsausschuss
West-Östliche Verflechtungen und das Ende des ‘Täterkriegs’
Ausblick
Dank
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Archive
Publizierte Quellen und Literatur
Zeitungen/Zeitschriften
Internetquellen
Personenregister
About the author
Prof. Dr. Claudia Weber lehrt an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder); Studium der Geschichte, Südslawistik und Politologie in Leipzig, Moskau, Sofia und Athens (Ohio); bis 2014 arbeitete sie als Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung.