Können auch Kollektive ein Trauma erleiden? Um eine Antwort zu finden, wird einerseits der Traumabegriff genauer untersucht, andererseits geht es um die wichtige Frage, was wir eigentlich über kollektiv wirksame psychische Prozesse wissen: Massenpsychologie, kollektive Identität und kollektives Gedächtnis sind dafür Schlüsselkonzepte – nicht nur für die Sozialpsychologie -, die hier verständlich dargestellt und dann auf das Trauma bezogen werden. An Beispielen wie dem 11. September, dem Amselfeld-Mythos, dem Trauma der Sklaverei und dem Holocaust wird herausgearbeitet, wie unterschiedlich die Phänomene sind, die sich hinter dem Begriff des »kollektiven Traumas« verbergen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Vorwort
Geleitwort
Einleitung
I Vom individuellen zum »kollektiven Trauma«
1 Trauma – Definitionen, Formen und Phänomene
1.1 Definitionsprobleme – von Anfang an
1.2 Individuelle Trauma-Phänomene
1.3 Indirekte Traumatisierungen
1.3.1 Formen indirekter Traumatisierung im Überblick
1.3.2 Transgenerationelle Weitergabe des Holocaust-Traumas
1.3.3 Auswirkungen von NS und Holocaust auf der Täterseite
1.3.4 Weitergabe ist nicht gleich »Trauma«: Parallelisierungen und Differenzierungen
1.4 Interdependenzen zwischen individuellem Trauma und Gesellschaft
1.4.1 Der Traumatisierte erinnert alle an das Trauma
1.4.2 Der öffentliche Umgang mit der Schuld
1.4.3 Rehabilitation der Überlebenden – Gedenken an die Toten
2 Kritischer interdisziplinärer Traumadiskurs
2.1 Trauma als moralisches, soziales, juristisches und
politisches Problem
2.2 Die Problematisierung der Einordnung: Trauma als Pathologisierung und Nivellierung
2.3 Chancen der Einordnung: Trauma als Anerkennung
2.4 Trauma als Rahmenmodell: Ein Kompromissvorschlag
3 Zwischenbilanz I: Kollektives Trauma als kollektiv gewordenes Trauma
3.1 Trauma-Merkmale und Kollektive
3.1.1 Kollektive Wunden? Zur Übertragbarkeit grundlegender
Definitionsmerkmale
3.1.2 Trauma-Phänomene und trauma-analoge Prozesse
auf Kollektiv-Ebene
3.1.3 Indirekte Traumatisierung, Identifikation und symbolische Präsenz
des Traumas
3.1.4 Kollektivtrauma als Fortsetzung der Medikalisierung:
Gesellschaften als Patienten
3.2 Fallbeispiel: Wie der »11. September« kollektiv wurde
3.2.1 New York: »Disaster Mental Health«
3.2.2 Verwundung der unverwundbaren USA
3.2.3 Angriff und Trauma der westlichen Welt?
3.2.4 Ausdehnung und Wirkungsweisen
des 9/11-Traumas
4 Zusammenfassung von Kapitel I
II Kollektive Prozesse aus psychoanalytischer Sicht
1 Lesarten von »Massenpsychologie«: Freud und Mitscherlich
1.1 Massenpsychologie und Freud
1.1.1 Freud als Sozialpsychologe
1.1.2 Massenpsychologie vor Freud
1.1.3 Massenpsychologie mit Freud
1.2 Massenpsychologie und die »Unfähigkeit zu trauern«
in Deutschland (Alexander und Magarethe Mitscherlich)
1.2.1 Beunruhigende Beobachtungen als Ausgangspunkt
1.2.2 Massenpsychologische Annahmen über die NS-Zeit
1.2.3 Die Unfähigkeit: Abwehr von Erinnerung, Trauer und Schuld
2 Kollektive Prozesse als »psychosoziale Arrangements« (Mentzos)
2.1 Krieg erfüllt psychosoziale Funktionen
2.2 Identifikation und Führer aus selbstpsychologischer Sicht
2.3 Schuld, Scham und die Umkehrung des Gewissens
3 Großgruppenidentität, gewählte Traumata und
gewählte Ruhmesblätter (Volkan)
4 Kollektive Prozesse und Ethnopsychoanalyse
4.1 Ethnopsychoanalyse als Massenpsychologie
4.2 Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit (Erdheim)
5 Zwischenbilanz II: Kollektive Traumata als Auslöser und Bezugspunkt kollektiver Prozesse
5.1 Zur Anschlussfähigkeit der dargestellten Konzepte
5.1.1 Psychoanalytische Erklärungen für den Zusammenhalt von Kollektiven
5.1.2 Die »Mobilisierbarkeit« von Kollektiven: Massenpsychologie im
engeren Sinne
5.2 Fallbeispiele: Kollektive Traumata
aus massenpsychologischer Sicht
5.2.1 Massenpsychologisch missbrauchbare Trauma-Narration:
Der Amselfeld-Mythos
5.2.2 Die »Unfähigkeit zu trauern« als Abwehr von Melancholie:
traumatische Kränkung?
6 Zusammenfassung von Kapitel II
III Trauma und kollektive Identität
1 Zum sozialwissenschaftlichen
Identitätsdiskurs
1.1 Identität als allzu beliebter Schlüsselbegriff
1.2 Die Kritik starrer Identitätskonzepte: Dezentrierungen
1.3 Modifikationen des Identitätsbegriffs
2 Zum Diskurs über Kollektive Identität
2.1 »Kollektive Identität« als situationsspezifische Aktivierung
2.2 Erkenntnispolitische und theoretische Schwierigkeiten
2.3 Zum Phänomen der Identitätspolitiken allgemein
2.4 Nationalistische Identitätspolitik und die Erfindung von Identität
2.5 Subversive Identitätspolitik und die Neubewertung von »unterdrückter« Geschichte
3 Zwischenbilanz III: Kollektives Trauma und kollektive Identität
3.1 Kollektive Identität und »kollektives Trauma« – zur Übertragbarkeit der theoretischen Überlegungen
3.1.1 Verwandte theoretische Probleme – verwandte Konsequenzen?
3.1.2 Trauma als aktivierbares Identitätsmerkmal
3.1.3 Echte und anonyme Kollektive
3.1.4 Trauma, Anerkennung und Identitätspolitiken
3.2 Kulturelles Trauma und kollektive Identität
3.2.1 Kulturelles Trauma – aus der kultursoziologischen Perspektive
Jeffrey Alexanders
3.2.2 Fallbeispiel: Wessen »kulturelles Trauma« ist der
Holocaust?
3.3 Trauma als Merkmal kollektiver Identität (Zusammenfassende Einschätzung)
3.3.1 Zwischen konkreter Erfahrung und kultureller Artikulation
3.3.2 Varianten von auf die kollektive Identität beziehbaren Traumata
4 Zusammenfassung von Kapitel III
IV Trauma und Kollektives Gedächtnis
1 Geschichte und Entwicklung des Diskurses zum
kollektiven Gedächtnis
1.1 Vordenker: Maurice Halbwachs und Walter Benjamin
1.1.1 Maurice Halbwachs: Mémoire collective
1.1.2 Walter Benjamin: Eingedenken
1.2 Aktuellere Entwicklungen: Kulturelles, Kommunikatives und Soziales
Gedächtnis
1.2.1 Die Unterscheidung zwischen kulturellem und kommunikativem
Gedächtnis
1.2.2 Das Kulturelle Gedächtnis und seine identitätspolitische Funktion
1.2.3 Kommunikatives Gedächtnis, Soziales Gedächtnis und
Soziale Erinnerungspraxis
2 Grenzen der Geschichtsschreibung nach dem Holocaust
2.1 Zwei Grundprobleme der historischen Repräsentation
2.1.1 Historische Repräsentation nach dem »linguistic turn«
2.1.2 Repräsentation des Holocaust
2.2 Massenverbrechen und Historischer Relativismus
2.3 Den Ermordeten gerecht werden:
Der Repräsentationsversuch von Saul Friedländer
3 Kollektives Erinnern und (Sozial-)Psychologie
3.1 Untersuchungsfelder: Wo findet kollektives Erinnern statt?
3.2 Erinnerungsformen: Was findet statt?
3.3 Narrative Psychologie und »temporale Sinnbildung«
4 Zwischenbilanz IV: »Kollektive Traumata« als Merkmale
kollektiver Gedächtnisse
4.1 Zur Anschlussfähigkeit der dargestellten Konzepte
4.1.1 Kollektivierung von Erinnerung als normal gewohnte Verarbeitung?
4.1.2 Gedächtnismodi als Traumaformen: kulturelles, kommunikatives oder
soziales Trauma?
4.1.3 Wahrheit, Gedächtnis und Trauma
4.1.4 Sprengt Trauma die Mustererzählung oder wird Trauma zur
Mustererzählung?
4.1.5 Trauma und die rhetorische Funktion von Erinnerungen
4.1.6 Alles Soziale ist Erinnern, aber nicht alles Erinnern ist ein Trauma
4.1.7 Der Anspruch der Vergangenheit an die Nachgeborenen
4.2 Fallbeispiel: Kollektives Gedächtnis und Sklaverei
4.2.1 Tragische und progressive Bezugnahme in den 1920er-Jahren
4.2.2 Postkoloniale Trauer als posttraumatische Trauer
5 Zusammenfassung von Kapitel IV
V Wessen Trauma? Bilanz und Ausblick
1 »Leiden vergleichen«: Holocaust, Ethik und die Grenzen
wissenschaftlicher Begriffsbildung
2 Wenn Trauma kollektiv wird: Formen und Wirkungsweisen kollektiver Traumata
2.1 Das Trauma des Einzelnen und das Trauma des Kollektivs: zwischen erlebtem und gewähltem Trauma
2.2 Die Aneignung von Trauma: Trauma, Kollektive Identifikation und Zugehörigkeit
2.3 Die Instrumentalisierbarkeit von Trauma: Trauma als kollektiv akzeptierte Narration
3 Weiter führende Fragen zur (Sozial-)Psychologie »schwieriger Vergangenheiten«
3.1 Opfer als Täter von morgen? – Variationen kollektiver Kränkungen
3.2 Trauer und Gedenken statt Trauma und Therapie
Schluss: Für ein reflexives Erinnern
Literaturverzeichnis