Ostdeutsche stilisieren sich im öffentlichen Diskurs gern als Opfer der deutschen Einheit. Tatsächlich haben sie sich aber von der friedlichen Revolution bis heute als mächtiger politischer Akteur erwiesen. So ging im revolutionären Umbruch von 1989 die Dynamik nicht von der kleinen Schar der Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen aus, sondern von der Bevölkerung. Und heute beherrscht die ostdeutsche Bevölkerung durch ihr Wahlverhalten und nicht zuletzt durch ihren Opferdiskurs die öffentlichen Debatten. Am ostdeutschen Protestverhalten lässt sich begreifen, wie sich eine Bevölkerung zum Volk konstituiert – unter den Bedingungen einer Diktatur – und wie in der Demokratie die kollektive Selbstermächtigung zum Ressentiment verkommt.
Über den Autor
Detlef Pollack, geb. 1955, lehrt Religionssoziologie an der Universität Münster und ist dort stellvertretender Sprecher des Exzellenzclusters »Religion und Politik«. Nach seinem Studium und der Promotion in Leipzig habilitierte er sich an der soziologischen Fakultät in Bielefeld und hatte Professuren in Leipzig, Frankfurt/Oder und New York inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der Religionssoziologie die politische Kultur im wiedervereinigten Deutschland und die Demokratisierung in Ostmitteleuropa.