Hegel hat seine Vorlesung über Rechtsphilosophie insgesamt sechsmal vollständig gehalten. Ein besonderes Interesse gilt der Vorlesung des Wintersemesters 1819/20, weil Hegel zu dieser Zeit die entscheidende Überarbeitung vornimmt, die dem Drucktext seiner Philosophie des Rechts zugrundeliegt und damit das Hegel-Bild nachhaltig bestimmt hat.
Hegel hat seine Vorlesung über Rechtsphilosophie insgesamt sechsmal vollständig gehalten, und zwar jeweils im Wintersemester: 1817/18 in Heidelberg, 1818/19, 1819/20, 1821/22, 1822/23 und 1824/25 in Berlin. Das Interesse an der Veröffentlichung von Hörernachschriften zu dieser Vorlesung ist nicht zuletzt durch die Frage motiviert, wieweit Hegels rechtsphilosophisches Hauptwerk, die Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820, als das Zeugnis seiner Politischen Philosophie zu gelten habe. Die Frage betrifft nicht allein den innertheoretischen Wandel, der bei Hegel im Bereich des politischen Denkens stattgefunden hat und durch Schriften aus über drei Jahrzehnten dokumentiert ist.
Ebenso wichtig ist der unmittelbare geschichtliche Kontext: Die Entstehung der Grundlinien fällt in die politisch bewegte Zeit des Jahres 1819, und vielfach ist die antiliberale Tendenz der Schrift, die mit früheren und späteren Zeugnissen aus Hegels Werk kontrastiert, als Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse und die Preußischen Zensurverordnungen verstanden (und kritisiert) worden. Ein besonderes Interesse gilt der Vorlesung des Wintersemesters 1819/20, weil Hegel zu dieser Zeit die entscheidende Überarbeitung vornimmt, die dem Drucktext der Grundlinien zugrundeliegt und damit das Hegel-Bild nachhaltig bestimmt hat.
Die neu aufgefundene Nachschrift stammt von Johann Rudolf Ringier (1797-1879) aus Lenzburg/Schweiz, der 1816-1818 in Göttingen, 1818-1820 in Berlin Rechtswissenschaften studiert und daneben Vorlesungen in Philosophie und Naturwissenschaften besucht hat. Als direkte Mitschrift gibt sie einen lebendigen Eindruck von Hegels Vortrag. Sie stellt eine substantielle und interessante Ergänzung sowohl zur gedruckten Rechtsphilosophie wie zur einzigen bisher bekannten (von D. Henrich 1983 veröffentlichten) Nachschrift dieses Kollegs dar.
Über den Autor
Emil Angehrn. Studium der Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Löwen und Heidelberg. Promotion in Philosophie 1976 in Heidelberg. Hochschulassistent an der Freien Universität Berlin, 1983 Habilitation an der FU Berlin. Professor für Philosophie 1989–1991 an der Universität Frankfurt am Main, 1991–2013 an der Universität Basel. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Antike Philosophie und 19./20. Jahrhundert; Metaphysik, Geschichtsphilosophie, Hermeneutik, Politik.