In den 1960er und 1970er Jahren entstanden in Deutschland und Europa Protestbewegungen, die in ihrer Aufmüpfigkeit das gesellschaftliche Klima bestimmten und neue Themen besetzten. Plötzlich wurde der konservative Obrigkeitsstaat grundlegend in Frage gestellt. Auch der Dokumentarfilm veränderte sich inhaltlich, technisch, ästhetisch und konzeptionell. Wurde er vor 1960 überwiegend mit 35mm-Kameras gedreht, revolutionierten handliche 16mm-Kameras mit synchronem Ton die Annäherung an die Wirklichkeit. In den 1970er Jahren entstanden Medienkooperativen und Videogruppen, die dezidiert das Ziel hatten, mit Video als neuem Medium eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Internationale Filmhistoriker und Vertreter aus der aktiven Szene geben einen Überblick über diese Entwicklungen des Dokumentarfilms, seine theoretischen Ansätze und historischen Hintergründe. Neben den Videogruppen als Schwerpunkt werden u.a. internationale Vorbilder aus Frankreich und Großbritannien, die Rolle des Dokumentarfilms für die Schwulen- und Frauenbewegung sowie die Subversivität des Amateurfilms in der DDR beleuchtet. Der Band entstand in Zusammenarbeit mit dem DFG-Projekt ‚Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland (1945-2005)‘.
Inhaltsverzeichnis
-ZIEL IST EIN POLITISCHER DOKUMENTARFILM, DER DIE GESELLSCHAFT VERÄNDERT
Zum Konzept einer ‚Gegenöffentlichkeit‘
– Thomas Weber: GEGENÖFFENTLICHKEIT – UNANSCHAULICH
– Klaus Kreimeier: GEGENÖFFENTLICHKEIT? Achtundsechzig: die wilden Anfänge
– Kay Hoffmann: DIE TECHNIK VERÄNDERT DEN DOKUMENTARFILM. Neue Formen durch synchrone 16mm- und Video-Kameras
– Wolfgang Stickel: VIDEOBEWEGUNG UND BEWEGUNGSVIDEOS. Politische Videoarbeit der Medienwerkstatt Freiburg in den 1980er Jahren
– Gerd Roscher: AN GESELLSCHAFTLICHEN BRUCHSTELLEN. Gegenöffentlichkeit und Selbsttätigkeit in der alternativen Medienszene der 1970er Jahre
– Christian Hißnauer: ‚FECHNER IST GROSSARTIG, ABER WILDENHAHN,
MIT VERLAUB, EIN POMPÖSER LANGEWEILER‘. Die dokumentarischen Ansätze der Zweiten Hamburger Schule
– Thomas Tode: TEMPUS EDAX – DIE GEFRÄSSIGE ZEIT. Zu den fünf Fassungen von Chris Markers Le fond de l’air est rouge
– Julian Petley: WHICH SIDE WERE THEY ON? Rundfunk, Filmmacher und der Bergarbeiterstreik 1984/85
– Nathalie Karl/Ursula von Keitz: FRAUEN, BEWEGT. Filmische Positionen im westdeutschen Feminismus der 1970er und frühen 1980er Jahre
– Daniel Kulle: ‚RAUS AUS DEN TOILETTEN, REIN IN DIE STRASSEN‘. Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit in der westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre
– Ralf Forster: GRENZEN AUSLOTEN, FREIRÄUME SCHAFFEN. Kritische Tendenzen im DDR-Amateurfilm
– Matthias Steinle: KEIN WIDERSPRUCH, ABER EIGENSINN. Subversion jenseits der Grenzen und die Grenzen der Kritik im DDR-Dokumentarfilm
– Malte Voß: VIDEOAKTIVISMUS UND SOZIALE MEDIEN. Eine Bestandsaufnahme der Gegenöffentlichkeit durch Video im Internetzeitalter
– Register
Über den Autor
Hans-Michael Bock, geb. 1947 in Wilhelmshaven. Autor und / oder Herausgeber zahlreicher Publikationen zur deutschen und internationalen Filmgeschichte. Aus der Arbeit an der Loseblatt-Enzyklopädie ‚Cine Graph – Lexikon zum deutschsprachigen Film‘ entstand das Institut Cine Graph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V., dessen Vorstand Bock angehört.