Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
»Hallo, Wilhelm Frank, haben Sie denn noch nicht genug an Ihrer anstrengenden Tagesarbeit, müssen Sie denn auch noch die Abendstunden mit Arbeit ausfüllen?« rief Julius Erdmann, der Besitzer der großen Mühlenwerke im Mühlengrunde, seinem Obermüller zu. Der alte Mann, der vor der Windmühle stand, deren mächtige Flügel sich lustig im Wind drehten, brachte mit einem Handgriff das laute Geklapper zum Schweigen, nahm die Pfeife aus dem Munde und ging seinem Brotherrn, der in Begleitung seiner Pflegetochter war, entgegen. »Die Armen brauchen ihr Brotmehl, Herr Erdmann«, entgegnete der Müller in seiner bedächtigen Art. »Was Sie Arbeit nennen, das ist für mich Erholung. Wenn meine Mühle nicht mehr klappern soll, dann mag ich auch nicht mehr länger leben. Ich bin unter dem Geklapper geboren und will auch unter ihm sterben, wie es Vater und Großvater vergönnt gewesen ist.« »Sie verstehen mich falsch, lieber Frank«, erwiderte Herr Erdmann hastig, »ich will Ihnen bestimmt keine Vorschriften machen. Ich fürchte nur, daß Sie sich zu sehr ausnutzen lassen und daß alle die, für die Sie Ihre Feierstunden opfern, nicht so bedürftig sind.« Sein Blick ging an der Mühle hoch, die so trutzig und frei dastand, so schmuck und ansehnlich wirkte wie kaum eine zweite ihrer Art. Er konnte es nur zu wohl verstehen, daß der alte Müller so an seiner Mühle hing. Wohl ebenso wie er an seinem großen Werk, dessen Stattlichkeit von keinem Punkt so gut zu übersehen war wie vom Mühlenberg aus. Vor nahezu fünfzig Jahren hatte Michael Erdmann, sein verstorbener Vater, im Mühlengrunde eine Mühle errichtet. Doch die Wasserkraft, mit der die Mühle anfangs betrieben wurde, hatte nicht lange ausgereicht. Dampfmaschinen von ungeheurer Kraft waren hinzugekommen, und nach und nach waren aus der Wassermühle die weltbekannten Erdmannschen Mühlenwerke geworden. Roggen-, Weizen- und Ölmühle standen friedlich nebeneinander, jede ein stattliches Werk für sich. Hohe Schornsteine ragten in die Luft, mächtige Getreidespeicher behaupteten breit und behäbig ihren Platz. Ein Frohgefühl ohnegleichen schwellte des Mannes Brust, der da hinunterschaute auf alles, was sein war.
Über den Autor
Ihre 70 Romane sind berühmt. Sie werden von einem vielfachen Millionenpublikum gelesen. Leni Behrendt versteht sich wie kaum eine andere in die Herzen der Menschen zu schreiben. Ihr Werk vermittelt unendlich viel Liebe und Güte. Als Schriftstellerin ist sie ein wahres Naturtalent. Mit ihrer bewusst schlichten und damit authentischen Sprache findet sie Anklang und Beifall auch von Seiten der Literaturwissenschaft. Eines ihrer Erfolgsgeheimnisse liegt darin, dass für jeden ihrer mitreißenden Romane Bilder und Begebenheiten aus ihrem eigenen schicksalhaften Leben erwachsen sind.
Als Privatlehrerin gewann die in Insterburg / Ostpreußen geborene Leni Behrendt schon früh einen tiefen Einblick in die adlige Gesellschaft. In vielen ihrer Romane spiegeln sich die Bilder unserer Welt wider. Aus den Erlebnissen stammt die Glaubwürdigkeit ihrer bewundernswerten Moral. Mit großem, sicherem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe, besonders eindrucksvoll schildert sie die liebende Frau.
Die Romane der Leni Behrendt vermitteln die Botschaft einer tiefen Wahrhaftigkeit. Eben dieser Wert ist heute mehr gefragt denn je.