An ihrem hundertsten Jahrestag im Jahr 2017 hat die Oktober-Revolution ihre zentrale Stellung im russischen Festkalender endgültig eingebüßt. Mit Blick auf die Unruhen des Jahres 2011/12 und die weit verbreitete Unzufriedenheit der jüngeren Generation war die russische Regierung vor allem daran interessiert, das revolutionäre Potential des Jubiläums unter Kontrolle zu halten. Die konkrete Erinnerung im Laufe des Jahres 2017 wurde daher dem Wissenschaftsbetrieb mit Symposien und Monographien überlassen.
Die Oktoberrevolution als singuläres Ereignis, als Zeitenwende, als Erfüllung oder Bedingung der Erfüllung einer säkularen Geschichtsteleologie fügt sich in das Konzept einer nationalen oder patriotischen Geschichtsschreibung des starken Staates nicht mehr ein. In der russischen Gesellschaft der Gegenwart identifizieren sich nur noch einzelne Gruppen mit der Revolution und dem Kommunismus, die Mehrheit orientiert sich am kapitalistischen Modell und seinen Wohlstandsversprechungen, das mit einer russischen nationalen Idee in Einklang gebracht werden soll. Daher weicht die politische Führung einer offenen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Revolution aus …
Februarrevolution und Oktoberrevolution des Jahres 1917 und der Bürgerkrieg 1918-1922 werden als Smuta, als eine Zeit der Wirren eingeordnet, die eine Tradition des starken Staates unterbrochen habe. Die bolschewistische Herrschaft unter Lenin und Stalin habe diese starke Staatlichkeit wiederhergestellt. Auch die Neunziger Jahre unter Jelzin seien als Smuta zu betrachten, die durch Putin beendet wurde.
(Aus dem Beitrag von Wolfgang Stephan Kissel)
Über den Autor
Andreas Umland, M.Phil. (Oxford), Dr.Phil. (FU Berlin), Ph.D. (Cambridge), Research Fellow at the Swedish Institute of International Affairs in Stockholm, Senior Expert at the Ukrainian Institute for the Future in Kyiv, and Associate Professor at the National University of Kyiv-Mohyla Academy.