Offenheit für internationale Zusammenarbeit und Integration in supranationale europäische Zusammenhänge ist ein Charakteristikum des modernen europäischen Verfassungsstaates. Die am 28. Juni 1996 angenommene Verfassung der Ukraine sollte die Zugehörigkeit des neu entstandenen Staates zur westeuropäischen Verfassungstradition zum Ausdruck bringen und mithin eine Art Rückkehr nach Europa bewirken. Allerdings lässt sich aus dem Verfassungstext keine Entschlossenheit des Staates ableiten, sich intensiv in supranationalen Organisationen zu engagieren. Dafür fehlt es an Grundlagen, welche die für eine Zusammenarbeit dieser Art notwendige Einschränkung der Hoheitsrechte oder auch deren Übertragung ermöglichen könnten.Ausgehend von der Prämisse, dass eine Teilnahme an der Europäischen Menschenrechtskonvention und die bevorstehende verstärkte Zusammenarbeit mit der EU von der Ukraine ein Mindestmaß an Öffnung der nationalen Verfassung fordern, wird in der vorliegenden Studie normativ beschrieben und empirisch belegt, wie sich ukrainische Verfassung und Verfassungspraxis zur offenen Staatlichkeit positionieren. Mit der Offenheit dem Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsschutz gegenüber begreift die Verfassung von 1996 die Ukraine als ‚kooperativen Staat‘. Diese Offenheit ist allerdings allgemein und vorsichtig angelegt, was zum Teil den historischen Voraussetzungen der Verfassungsannahme geschuldet ist. Zugleich überlässt die allgemein formulierte Öffnung dem Gesetzgeber und auch der Judikative einen gewissen Spielraum für ihre völkerrechtsfreundliche Ausformung und Auslegung, die allerdings aufgrund von deren starker Anfälligkeit für das Auf und Ab der Tagespolitik nicht immer stimmig und mitunter auch qualitativ problematisch sind.Unter Berücksichtigung der politischen, historischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit der Ukraine werden dem Leser die Umstände der Entstehung der völkerrechtsrelevanten Verfassungsnormen, ihre Entwicklung durch Gesetzes- und Anwendungspraxis, die komplizierten Konflikte zwischen Parlament und Exekutive im Bereich der völkerrechtsbezogenen Organkompetenzen sowie die Rolle und Funktionen des Völkerrechts in der Rechtsprechung des ukrainischen Verfassungsgerichts geschildert.
Über den Autor
Die Autorin:Dr. Ruslana Vovk studierte Internationale Beziehungen und Völker- sowie Europarecht an der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lemberg und Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Anschließend promovierte sie als Fellow des Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft ‚Verfassung jenseits des Staates‘ (GRAKOV) der Humboldt-Universität zu Berlin.Der Vorwortautor:Dr. Alexander Blankenagel ist Professor für Öffentliches Recht, Russisches Recht und Rechtsvergleichung der Humboldt-Universität zu Berlin.