Heiligkeit ist heute zumeist mit einer moralisch vorbildlichen Lebensführung verbunden; ihre Konstruktion mittels physischer Zeichen ist selten geworden. Im Rahmen von Konzeptionen, in denen körperliche und spirituelle Zustände eine Einheit bilden, können somatische Erscheinungen als Gnadenerweise begriffen werden und Heiligkeit manifestieren.
Nirgends wird deutlicher als am Beispiel der Stigmata, wie eng äußerlicher und innerlicher Nachvollzug der Leiden Christi in der historischen Wirklichkeit zusammengehören. Inneres Geschehen und körperliche Vorgänge sind bis weit in die Frühe Neuzeit hinein miteinander verwoben – in der Gliederung dieses Bands nur deshalb analytisch getrennt, um sie wieder in ihrer Verschränkung zusammenzudenken. Insbesondere die von der männlichen Kultur in historisch je spezifischer Weise als Körpermaterie begriffenen Frauen machten den eigenen Körper durch Selbstmodellierung zum Ort der Inkarnation des Göttlichen. Durch diese Vergöttlichung des Fleisches, durch die Spiritualisierung von Materiellem wie auch die Materialisierung von Spirituellem, kommt die enge Verflechtung von Körper und Wort zum Ausdruck – auch in ihrer politischen Dimension.
Über den Autor
Waltraud Pulz ist Volkskundlerin und lehrt an verschiedenen Universitäten im
In- und Ausland.
Forschungsschwerpunkte: Körper-, Frömmigkeits- und Wissen(schaft)sgeschichte, Genderforschung.