Die vielgestaltigen Ansätze psychoanalytischer Ästhetik seit Freud wurden mit Neugier und Interesse aufgenommen, aber stets auch leidenschaftlich abgelehnt und vernichtend kritisiert. Der Autor stellt klassische und neuere Theorien systematisch dar und diskutiert ihre Möglichkeiten und Probleme.
Auf dieser Grundlage wird die Methodik eines genuin psychoanalytischen Lesens entwickelt. Diese nimmt mit der unbewussten Dimension in der Beziehung zwischen Text und Leser auch Widerstand und Abwehr als substantielle Momente ästhetischer Erfahrung in den Blick. Praktisch erprobt wird dieses Interpretationsverfahren in einer eingehenden Lektüre von Gustave Flauberts Erziehung der Gefühle – einem Text, der sein »fast unsichtbares Thema«, prototypisch für den modernen Roman, unter der Hand direkt im Leser gestaltet.
Table of Content
Inhalt
Einleitung
I. Zugänge
Möglichkeiten und Probleme der psychoanalytischen Ästhetik seit Freud
Freuds Problembewußtsein
Das Verhältnis Psychoanalyse – Kunst: »Anwendung« oder »Grundlage der Erkenntnisbildung«?
Der Beginn psychoanalytischer Literaturinterpretation: Wirkungsanalyse
Ein weiterer Weg: Autorenbiographie
Kritik an der psychoanalytischen Literaturwissenschaft: »Biographismus« und »Reduktionismus«
Untersuchungseinheit Autor – Werk – Rezipient: Kunst als dynamischer (Kommunikations-)Prozeß
»Tod des Autors«? Nabokovs Pale Fire und die Not des Interpreten
… und »Rückkehr des Autors«
II. Traum-Analogie
Vom Modell des Traums zur Analyse der ästhetischen Form
1. Grundlagen: Systematik der frühen psychoanalytischen Ästhetik
Traum und Traumdeutung
Die Analogie Traum – Kunstwerk
Phantasie
Weitere Vervollständigung der psychogenetischen Reihe: Tagtraum und »gemeinsamer Tagtraum«
»Wortgewordene Aktion«: Der Witz als Modell für den literarischen Kommunikationsprozeß
2. Kritik der Traum-Analogie: Zentrale Probleme und Wege zu ihrer Lösung
Zum logischen Status der psychoanalytischen Analogiebildung
Fiktion und Realität, Phantasie und Unbewußtes – und das »neue Lesen«
Manifest – latent
Manifest – latent? Transformationen des Sinns im Prozeß ästhetischer Erfahrung am Beispiel von Becketts Romantrilogie
Deutung in absentia
Symbolisierung
Überdeterminierung – Überdeutung
»Deutung« – »Konstruktion«
3. Anhaltspunkte: Auf dem Weg zur Analyse der ästhetischen Form
»Erste Einsicht«
Einige Überlegungen zum »Rätsel« des Verhältnisses von Form und Inhalt
Psychoanalytische Formanalyse: Impulse aus der Traumdeutung
Psychoanalytische Formanalyse: Impulse aus der Ich- und Selbst-Psychologie
4. Ausblick: Vom Objekt zur Beziehung: Die »Kopernikanische Wende« in der Psychoanalyse
III. Gegenübertragungsanalyse
Grundlagen und Methodik neuerer psychoanalytischer Ästhetik
1. Methode
Gegenstands- und Verfahrensproblematiken
Gegenstands- und Verfahrensbestimmungen
»Hermeneutik der Erfahrung«: Bestimmung des Gegenstandes der Wirkungsästhetik
»Zusammenspiel«: Bestimmung des Gegenstandes der Psychoanalyse und psychoanalytischen Ästhetik
Gleicher Gegenstand – unterschiedliche Verfahren
Verfahren: Was ist und wozu dient Gegenübertragungsanalyse?
Gegenübertragungsanalyse in der Interpretationspraxis
2. »Durchbruch«: Zwei Einwände, eine Entgegnung
3. Widerstand und Abwehr in ästhetischer Kommunikation
Verdrängung
Verleugnung, Verneinung
Verschiebung
Vermeidung
Isolierung
Reaktionsbildung
Intellektualisierung
Rationalisierung
Identifizierung, Introjektion
Regression
Projektion, projektive Identifikation
Omnipotente Kontrolle des Objekts
Identifizierung mit dem Angreifer
Autoaggression
Verkehrung ins Gegenteil, Wendung gegen die eigene Person
Affektualisierung
Spaltung
Ungeschehenmachen
Idealisierung
Entwertung
Sublimierung
Somatisierung, Konversion
Affektabwehr
Übertragung, Widerstand, Abwehr – und ihre Deutung
4. Lektüre als Zumutung
IV. Lektüre
Flauberts Éducation sentimentale
Das Scheitern des Anti-Helden und das Scheitern des Lesers
1. Das erste Kapitel der Éducation sentimentale als Histoire d’un jeune homme in nuce
»Impressionistischer Subjektivismus« und die Frage nach der Perspektive
M. Arnoux
»L’apparition«: Mme. Arnoux
Die Fahrt nach Hause (1)
Die ›Freude-Angst-Leerstelle‹: »Unmittelbares Zusammenspiel« zwischen Text und Leser über Frédéric als Perspektivfigur
Die Fahrt nach Hause (2)
Ankunft in Nogent: Die Welt der Mutter und ihre Regeln
2. Analyse des Beziehungsgefüges der Éducation sentimentale entlang von Interaktionskreisen
Befindet sich Frédéric an einem »carrefour de quatre tentations féminines«?
Der Interaktionskreis Frédéric – Louise – Père Roque
Der Interaktionskreis Frédéric – Mme. Dambreuse – M. Dambreuse
Der Interaktionskreis Frédéric – Rosanette – M. Arnoux
Frédérics Liebe zu Mme. Arnoux: »élément ordonnateur« der Éducation sentimentale
3. Der Interaktionskreis Frédéric – Mme. Arnoux – M. Arnoux
Eine Innovation – und wie sie zu deuten sei
Ein ödipal verkleideter präödipaler Text?
Exkurs: Das Ödipale und das Präödipale
Die Frage nach dem Dritten
Die Frage nach dem Dritten: Père Roque; M. Dambreuse; M. Arnoux
Die Frage nach dem Dritten: M. Moreau
Die Frage nach dem Dritten: M. Arnoux
Die Beziehung zu Mme. Arnoux
»Une sorte de paradis sous forme humaine«: Die Frau der Frauen
Die Liebe zur Mutter
Frédérics »Vorstellung einer erwünschten Interaktion« mit Mme. Arnoux
Die Angst vor dem Inzest
Die Spannung zwischen dem Wunsch nach Fusion mit der Mutter und der Angst vor dem Inzest
Der Tod der Mutter
Abschied von der Mutter?
4. »Les momies que l’on a dans le cœur«: Drei offene Enden
»Les momies que l’on a dans le cœur«: Frédéric
»Les momies que l’on a dans le cœur«: Frédéric und Flaubert
»Les momies que l’on a dans le cœur«: Flauberts Éducation und ihr Leser
Schluß: Panorama
Literatur
Danksagung