‘Was heißt das eigentlich: „rechts“ und „links“? Welcher dieser beiden Richtungen soll man sich zurechnen, mit welcher sympathisieren?
Noch vor nicht allzu langer Zeit konnte jeder politisch informierte Mensch die erste Frage klar und eindeutig beantworten. Vor 1917 bereitete uns Russen auch die zweite Frage keine große Schwierigkeit, noch weniger vor 1905. „Rechts“ – das war Reaktion, Knechtung des Volkes, …, Unterdrückung der Gedanken- und Redefreiheit, Willkürherrschaft. „Links“ – das war die Befreiungsbewegung, geheiligt durch die Namen der Dekabristen, die Namen Belinskijs und Herzens, das hieß Fordern von Rechten, von Überwindung der Willkür, Aufhebung der Zensur und der Jagd auf Andersgläubige, Sorge um die Nöte der unteren Klassen, Sympathie für gewählte Gebietsverwaltungen und Geschworenengerichte, Träumen von einer Konstitution. „Rechts“ bedeutete Grausamkeit, Formalismus, Menschenverachtung, Arroganz der Macht; „links“ Menschenliebe, Sympathie für die „Erniedrigten und Beleidigten“, Gefühl für die persönliche Würde, die eigene wie die fremde. Zweifel konnte es nicht geben, schlug doch, um mit Heine zu sprechen, bei jedem anständigen Menschen das Herz links. Kurz gesagt, „rechts“ war böse, „links“ war gut. All das ist verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt oder vom Wind verweht. Eine solche Ganzheitlichkeit der Gefühle ist der jungen Generation heute nicht mehr zugänglich, nicht einmal ihren „linken“ Vertretern…
Wie für alle Russen, die ihr Gewissen und ihren gesunden Menschenverstand noch nicht verloren hatten, war die Revolution von 1917 für mich unmittelbarer Anstoß zu einer entschiedenen „Rechtswendung“. Nachdem aber die Eindrücke sich gesetzt hatten, kam es zu einer neuen Entwicklung: Die Begriffe „rechts“ und „links“ selbst wurden immer beliebiger, zufälliger, sie verloren ihren eindeutigen Sinn, wurden schal und inaktuell. Sie hatten sogar etwas beleidigend Unangemessenes an sich: Für einen Menschen, der, vom Strudel ergriffen, versucht, sein Leben zu retten, ist dies nicht die Zeit, zu überlegen, ob er „rechts“ oder „links“ ist; jemand, der unter die Räuber oder die Wahnsinnigen gefallen ist, hat keinen Sinn für Parteienpolitik; jemand, der die Heimat verloren hat, hat alles verloren – auch den Boden, auf dem er nach rechts oder links gehen kann.“
(Aus dem Beitrag von Simon L. Frank)
Sobre el autor
Andreas Umland, M.Phil. (Oxford), Dr.Phil. (FU Berlin), Ph.D. (Cambridge), Research Fellow at the Swedish Institute of International Affairs in Stockholm, Senior Expert at the Ukrainian Institute for the Future in Kyiv, and Associate Professor at the National University of Kyiv-Mohyla Academy.