«Demonstrationen, welche die Polizei erlaubt, sollten von den Veranstaltern verboten werden», rief Rolf Hochhuth 1968 den Notstandsgegnern zu, die sich in Frankfurt versammelt hatten. 1965 veröffentlichte er seinen Aufruf «Der Klassenkampf ist nicht zu Ende». An dem von Christlicher Union und Sozialdemokratie fünfundzwanzig Jahre erfolgreich diffamierten Begriff wurde die bundesdeutsche Wirklichkeit gemessen. Der Bundestag debattierte über Hochhuths Thesen, der Theologe Hans Werner Bartsch schrieb: «Seit über zehn Jahren regelmäßiger ‹Spiegel›-Lektüre habe ich noch keinen besseren, aufrüttelnderen Artikel gelesen. Die Eigentumsdenkschrift der Evangelischen Kirche liest sich, damit verglichen, wie ein Ammenmärchen.» Die Forderung des politischen Außenseiters – die Arbeiter und Angestellten an den Produktionsmitteln zu beteiligen – hat Eingang in Bonner Gesetzesvorlagen gefunden. Hier erweist sich die Funktion des kritischen Geistes im Gesellschaftsprozeß.
Hochhuth hat wieder dafür gesorgt, daß, wer Klassenkampf sagt, nicht mehr Hohnlachen, sondern Beunruhigung und Zorn bei den Mächtigen auslöst. Doch der Autor greift in diesen, 1971 zum erstenmal in Buchform veröffentlichten zeitkritischen Essays nicht nur an, er will auch kommunizieren, er sucht das Gespräch mit dem Gegner. So wird die Geschichte seiner Dramen auch Teil der politischen Geschichte seiner Zeit. Daß nach langem Schweigen selbst Papst Paul VI. an der «Stellvertreter»-Diskussion teilnahm, gehört ebenso in die politische Bilanz wie die Reaktion des britischen Premiers auf «Soldaten». Der politische Moralist Hochhuth zwingt durch sein Engagement die Zeitgenossen zu Stellungnahme und Umdenken.
Sobre el autor
Fritz J. Raddatz ist der widersprüchlichste deutsche Intellektuelle seiner Generation: eigensinnig, geistreich, gebildet, streitbar und umstritten. Geboren 1931 in Berlin, von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages. Von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ZEIT. 1986 wurde ihm von Franςois Mitterrand der Orden «Officier des Arts et des Lettres» verliehen. Von 1969 bis 2011 war er Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Stiftung, Herausgeber von Tucholskys «Gesammelten Werken», Autor in viele Sprachen übersetzter Romane und eines umfangreichen essayistischen Werks. 2010 erschienen seine hochgelobten und viel diskutierten «Tagebücher 1982-2001». Im selben Jahr wurde Raddatz mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm «Jahre mit Ledig». Der Autor verstarb im Februar 2015.