Über die Eigenart mentaler Akte
Kaum ein Begriff hat die philosophische Diskussion
so sehr bestimmt wie der Begriff der
Intentionalität, den Brentano am Ende des
19. Jahrhunderts wieder aufgriff, um mit
dessen Hilfe die Psychologie als autonome
philosophische Disziplin
neu zu konstituieren.
Der Begriff hat nicht nur geholfen, die
Eigenart mentaler Akte besser zu verstehen,
er diente auch vorzüglich als Waffe gegen die
Naturalisierung
des Geistes, die damals durch
die Forschungen in der experimentalen Psychologie,
der Physiologie und dem Behaviorismus
genährt wurde und die heute durch die
Ergebnisse der Kognitionswissenschaften erneut
Aufwind bekommen hat.
Schon Brentano allerdings hat gesehen,
dass Intentionalität nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal
mentaler Akte ist, sondern
dass diese immer auch innerlich wahrgenommen
werden und dadurch Subjektivität
erlangen.
Diese doppelte Charakterisierung hat Folgen
für die Beschreibung aller Typen mentaler
Akte, sowohl für die sensorischen wie
auch die kognitiven oder emotionalen, und
führte zu neuen Debatten in der Erkenntnistheorie,
in der Philosophie der Gefühle und
in der Ontologie – mit Auswirkungen auf
weitere philosophische Themenbereiche: so
etwa auf die in der Sozialphilosophie stark
diskutierte Frage nach den Identifikationskriterien
von kollektiver Intentionalität oder
die in der Anthropologie geführte Debatte darüber, ob kollektive Intentionalität als
Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch
und Tier dienen könne. Nicht zuletzt aber
geht die Frage, ob und inwieweit die vor
Brentano dominierenden Modelle von Subjektivität
und Intentionalität im Lichte der
heutigen Debatten neu zu bewerten sind,
auch an die Historiker der Philosophie.
Der Band 2016 der Studia Philosophica
stellt diese vergangenen und gegenwärtigen
Debatten über die Beziehung von Intentionalität
und Subjektivität in den Mittelpunkt.
Eine nicht geringe Zahl von Philosophinnen
und Philosophen, die selber an diesen Themen
arbeiten, kommen in diesem Band zu
Wort.
A propos de l’auteur
Die Redaktion
Anton Hügli, geb. 1939, studierte Philosophie, Psychologie, Germanistik/Nordistik und Mathematik in Basel und Kopenhagen. Er war bis 2005 Professor für Philosophie und Pädagogik an der Universität Basel.
Janette Friedrich, geb. 1961, studierte Philosophie in Rostow am Don (Russland) und doktorierte an der Humboldt Universität in Berlin. Nach mehrjährigen Forschungsaufenthalten in Paris ist sie gegenwärtig Maître d’enseignement et de recherche an der Universität Genf.
Der Gastherausgeber
Guillaume Fréchette, geb. 1976, studierte Philosophie an der Universität Québec in Montreal und promovierte an der Universität Hamburg. Er ist derzeit Projektleiter am Fachbereich Philosophie (KGW) der Universität Salzburg.