Die Theorie Pierre Bourdieus wird häufig als eine Synthese klassischer Ansätze bezeichnet, wobei typischerweise Weber, Durkheim und Marx als zentrale Referenzfiguren benannt werden. Kontextualisierenden Aussagen dieser Art kommt jedoch nicht lediglich ein disziplinhistorischer, sondern vielmehr auch ein systematischer Wert für die Verortung von Theorien zu, und damit: für die Bestimmung ihrer spezifischen Perspektivität und Anwendbarkeit. Worin genau die jeweiligen Anleihen zu sehen sind, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und inwieweit eine Fokussierung auf die genannten Autoren überhaupt gerechtfertigt ist, bleibt allerdings in der Regel unklar. Daniel Witte rekonstruiert die zentralen Erbstücke Max Webers, Emile Durkheims und Georg Simmels in Pierre Bourdieus Werk. Hierzu wird Bourdieus Ansatz in einem ersten Teil als Feldtheorie, d. h. mit Blick auf seinen differenzierungs- und gesellschaftstheoretischen Anspruch gelesen. In einem zweiten Teil werden die genannten Klassiker auf drei zentrale Aspekte der soziologischen Theorie hin befragt: die kategoriale Fundierung ihrer soziologischen Analytik, ihre Konzeptualisierung von Macht und Herrschaft sowie ihren differenzierungstheoretischen Gehalt. In der theorievergleichenden Zusammenschau ergibt sich mit dieser Studie das Bild Bourdieus als das eines modernen Klassikers, der fest auf den Schultern der Riesen des Faches steht, sich gegenüber einer oft unterstellten Nähe zu Marx jedoch als heimlicher Nachfolger Simmels erweist. Seine Gesellschaftstheorie zeigt sich vor diesem Hintergrund von neuen Seiten.
A propos de l’auteur
Daniel Witte ist Wissenschaftlicher Koordinator am Käte Hamburger Kolleg »Recht als Kultur« und Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.