Die radikale Gesellschaftskritik Theodor W. Adornos und Max Horkheimers bedient sich immer wieder explizit theologischer und metaphysischer Topoi – selbst dort, wo sie Religion kritisiert. Einerseits arbeiten die Vertreter der Kritischen Theorie die ideologische Funktion von Religion in einer Gesellschaft heraus, deren menschengemachte Zwänge als metaphysisch gegebene, unhintergehbare Tatsachen erscheinen. Um diesen Schein zu durchbrechen, halten sie aber andererseits am Wahrheitsgehalt der theologischen Versprechen fest. Dabei verwirft die Kritische Theorie jedes positive Bild des ‘Anderen’ und fordert zugleich, seine Möglichkeit der vermeintlich ausweglosen Immanenz des Faktischen entgegenzuhalten. Als profanierte Denk- und Deutungsfiguren werden theologische Bestände dabei philosophisch, sozialtheoretisch und ästhetisch eingeholt.
Dem Stellenwert dieser rettenden Religionskritik zwischen Metaphorik und Metaphysik sind die Einzelstudien des vorliegenden Bandes gewidmet. Die Autorinnen und Autoren gehen insbesondere religiösen Themen und metaphysischen Thesen bei Adorno nach, die von dessen Apologeten meist stillschweigend übergangen, von den Kritikern hingegen zur Sackgasse seiner kritischen Gesellschaftstheorie erklärt werden. Dabei wird immer wieder deutlich, dass das metaphysisch-theologische Vokabular der Kritischen Theorie gerade auf das scheinbare Gegenteil der Theologie – den Materialismus – verweist und umgekehrt.
A propos de l’auteur
Dirk Braunstein studierte Philosophie, Pädagogik und Anglistik in Bochum, Köln, Frankfurt am Main und Berlin und hat über Adornos Kritik der politischen Ökonomie promoviert. Zurzeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main.
Grazyna Jurewicz (Dr.) studierte Jüdische Studien, Philosophie und Religionswissenschaften in Potsdam und Prag. Sie promovierte zum Denken Moses Mendelssohns. Zurzeit ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Grazyna Jurewicz’ Erkenntnisinteressen umfassen jüdische Geistesgeschichte ab dem 18. Jahrhundert bis in die Moderne und klassische Fragestellungen der Religionsphilosophie. In ihrem Habilitationsprojekt fragt sie nach dem Zusammenhang zwischen Autobiographie und Theorie im Kontext der polnisch-jüdischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts.
Ansgar Martins studierte Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt am Main. Seit 2016 arbeitet er an der Martin- Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an einem Promotionsprojekt zur Philosophie Siegfried Kracauers. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Kritische Theorie, jüdische Religionsphilosophie, religiöse Modernisierung und die Geschichte der neuzeitlichen Esoterik.