Der Brasilianer Alberto Cavalcanti (1897–1982) war an den wichtigsten filmkünstlerischen Bewegungen zwischen den 1920er- und 50er-Jahren beteiligt, insbesondere in Frankreich und Großbritannien. Cavalcantis Œuvre, das aus experimentellen Avantgarde-, Dokumentar- und Spielfilmen sowie deren Mischformen besteht, umfasst 118 Filme – und ist heute dennoch nur wenig bekannt. Eine Ausnahme bildet der sinfonische Stadtfilm Rien que les heures (Frankreich 1926; deutscher Titel: Nichts als die Zeit).
Silvana Mariani untersucht in ihrer Studie das Werk Cavalcantis und sein Bemühen, soziale Themen »realistisch« darzustellen.
In den 1950er Jahren kehrte Cavalcanti für kurze Zeit nach Brasilien zurück mit dem Ziel, in São Paulo eine nationale Filmindustrie aufzubauen – ein wenig erfolgreiches Unterfangen. In dieser Zeit entstand jedoch auch sein Film O Canto do Mar (1953), den Mariani als Analysebeispiel wählt. Sie zeigt auf, dass O Canto do Mar in seiner hybriden Form von dokumentarischen und fiktiven Anteilen einen eigenen poetischen Realismus entwickelt, auch wenn der Film von der Kritik mehrheitlich als nicht realistisch rezipiert wurde – vor allem, weil er von der sich ankündigenden Bewegung des Cinema Novo, das eine neue Definition von Realismus für sich beanspruchte, als anachronistisch aufgefasst wurde.
A propos de l’auteur
Silvana Mariani, Jahrgang 1962, studierte Musik und Film in Brasilien [Universidade do Estado de Santa Catarina und Universidade Tuiuti do Paraná]. An der Universität Zürich absolvierte sie ein Masterstudium in Filmwissenschaft. Sie lebt in der Schweiz, wo sie als Musikpädagogin und Dokumentarfilmerin tätig ist.