Seit diesem Befund des Sozialhistorikers Norbert Ortmayr aus dem Jahr 1990 hat sich wenig verändert. Die Geschichtswissenschaft konnte bislang nur mit einigen unveröffentlichten Hochschulschriften aufwarten, obwohl sich für eine historische Betrachtung der Problematik genug Ansatzpunkte bieten: Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in der Donaumonarchie wichtige Studien zur ‘Lebensverneinung’. Thomas G. Masaryk, Sigmund Freud und Alfred Adler nahmen sich etwa des Themas an. Durch die Werke zahlreicher Schriftsteller und die Suizide von Ludwig Boltzmann, Otto Weininger oder Richard Gerstl erschien das Wien des ‘Fin de Siècle’ darüber hinaus geradezu als Sinnbild ‘lebensmüder Intellektualität’. Hinter diesem durchaus fragwürdigen Klischee, das die Tragödie des Kronprinzen Rudolf in Mayerling noch verstärkte, verbargen sich indes die anonymen Fälle. Hier ließ Österreich mit erschreckenden Statistiken aufhorchen: Unter den Ländern, die Suizidzahlen veröffentlichten, gehörte vor allem die Alpenrepublik über weite Strecken des 20. Jahrhunderts zu den Staaten mit der höchsten Selbstmordrate.
Das vorliegende Buch bietet nun einen ersten Überblick zu diesen Schattenseiten der österreichischen Geschichte. Behandelt wird vor allem der Zeitraum ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich im Habsburgerreich rechtlich, aber auch durch eine verbesserte Datenerfassung die Wahrnehmung der ‘Lebensmüdigkeit’ änderte. Neben Theorien, Begriffsdefinitionen, Vorbedingungen, Erhebungsmethoden und dem Aussagewert von Statistiken geht es unter anderem um Vergleiche zwischen den Kron- beziehungsweise Bundeslä
About the author
Mag. Dr. Hannes Leidinger, geb. 1969, Universitätsdozent, Lehraufträge an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Wien, 2009 und 2012 Gastprofessor der Universität Wien; Mitarbeiter sowie Leiter verschiedener Forschungsprojekte vor allem zur österreichischen und russischen Geschichte. Zahlreiche Preise und Publikationen.