Die Integrationsforschung ging lange Zeit von der Annahme aus, dass das konstitutionelle Modell der Europäischen Union ‘sui generis’ als unvergleichbar mit nationalstaatlichen politischen Systemen anzusehen sei. Folglich wurde die Europäische Union kaum komparativ betrachtet. Die These der Unvergleichbarkeit ist allerdings in den vergangenen Jahren in der Politikwissenschaft zunehmend revidiert worden.
Christian Henrich-Franke greift diesen Paradigmenwechsel auf und überträgt ihn in die Geschichte, um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und das Deutsche Reich zu vergleichen. Beide waren in ihren jeweiligen Epochen als neue politisch-wirtschaftliche Systeme etabliert worden, die keinem der gängigen staatstheoretischen Modelle entsprachen. Der Autor zeigt, welch vielfältige Ähnlichkeiten die Wirkungsmechanismen und Konstruktionselemente der politischen Systeme des Deutschen Kaiserreichs und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aufwiesen. Dies wird am Beispiel der gemeinsamen Verkehrs- bzw. Eisenbahnpolitik verdeutlicht, die in beiden Fällen trotz intensiver Bemühungen scheiterte. Insofern versteht sich der Band als ein Einstieg in ein neues Forschungsfeld: die historisch vergleichende Erforschung der Europäischen Integration.