Ob der Erste Weltkrieg nun als ‘Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts’ oder Auftakt zur ‘Weltkriegsepoche’ interpretiert wird, ist weiterhin umstritten. Weniger sind es Fakten und Auswirkungen: Der Erste Weltkrieg kostete knapp 20 Millionen Menschen das Leben, führte zur Auflösung mehrerer Großmächte und zur Bildung zahlreicher neuer Staaten – nun als Demokratien. Im Zentrum der oft auch nach Kriegsende anhaltenden Auseinandersetzungen stand oftmals der Streit um die Form der Demokratie (parlamentarische, Rätedemokratie oder kommunistisches System), der vor allem aus dem Interesse am Fortbestand oder am (Wieder-)Aufstieg der eigenen Nation gespeist wurde. Es entstanden post-monarchische politische Systeme, von republikanischen Ideen geprägte Demokratien, jedoch keineswegs das von demokratischen Gesellschaften
erhoffte friedliche Miteinander der Völker der Welt.
Im Angesicht der drohenden militärischen Niederlage wurde am 28. Oktober 1918 für Deutschland der Übergang von einer konstitutionellen zu einer parlamentarischen Demokratie beschlossen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die Demokratie war die Einführung des Wahlrechts für alle Frauen und Männer ab 20 Jahre. Diese Entscheidung war noch während des Krieges immer wieder angekündigt, jedoch erst danach umgesetzt worden, auch um die Motivation für den Kriegseinsatz aufrecht zu erhalten, denn zum ersten Mal wurde die gesamte Bevölkerung in neuer Qualität in den Ablauf eines Kriegs einbezogen.
Die politische Kultur in Deutschland war 1918 in unterschiedliche sozial-moralische Milieus gespalten: in das höfisch-aristokratische, das bürgerlich-liberale, das katholischkleinbürgerlich-bäuerliche und das sozialdemokratisch-proletarische. Diese vier Milieus identifizierten sich in unterschiedlicher Weise mit dem neuen Staat und der neuen Gesellschaft. Grundsätzlich kann von einer gespaltenen politischen Kultur gesprochen werden, die auch von übersteigerten Erwartungen an die Politik geprägt war: die nationale Ehre sollte wiederhergestellt, die ökonomische Lage stabilisiert, die soziale Frage entschärft werden. Nach innen sollten die gesellschaftlichen Gruppen miteinander versöhnt und nach außen die Nation glanzvoll repräsentiert werden.
Gerade für die historisch-politische Bildung lohnt es sich, den Weg in die Demokratie und die folgenden Krisen genauer in den Blick zu nehmen. Welche Errungenschaften bringt die Demokratie als Staatsform mit sich? Welche Prinzipien begleiten die Neuordnung der Staaten sowie die Bildung von Nationen? Wie entwickeln sich die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Demokratie? Weshalb konnten die neuen demokratischen Gesellschaften die mit ihnen verbundenen Hoffnungen nicht einlösen? Welche Entwicklungen führten dazu, dass die Skepsis gegenüber der Demokratie wuchs und autoritäre Systeme politisch immer mehr Bedeutung erlangten?
In diesem Heft wird das Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 zum Anlass genommen, an die daraus folgende Neuordnung der Welt zu erinnern und sich mit den Auswirkungen dieses Ereignisses zu beschäftigen. Die politischen Entscheidungen nach dem Waffenstillstand, in den Friedensverträgen, bei der Gründung des Völkerbunds haben bis in die Gegenwart für die politischen Debatten in Europa eine hohe Relevanz. Deshalb ist die Beschäftigung damit für die politische Bildung und ihre Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen wichtig – insbesondere, wenn im Jahr 2018 neurechte Vordenker und prominente Regierungspolitiker eine ‘konservative Revolution’ für Deutschland einfordern und damit direkt – wenn auch vielleicht aus historischem Unwissen – auf die Abschaffung der Demokratie in der Weimarer Republik
rekurrieren.
Daftar Isi
Mit Denken
Nausikaa Schirilla
Dämonisierung, Ausgrenzung und Identität
Ein Blick in die gesellschaftlichen Prozesse
Schwer Punkt
1918 – Neue Weltordnung und demokratischer Aufbruch?
Aleida Assmann
1918 – Auf dem Weg zu einer europäischen Erinnerung?
Michele Barricelli
Hundert Jahre nach dem demokratischen Neuanfang in Deutschland
Eine unsichere, eine wichtige Erinnerung
Volker Weiß
‘Die Neue Front’
Die ‘revolutionäre’ Neuausrichtung des Nationalismus nach 1918
Sigrid Steininger, Patricia Hladschik
Die ‘Achter-Jahre’ und die österreichische Geschichte
2018 als Jahr des Gedenkens, Erinnerns und Feierns
Ulrike Guérot
Wer wird für die europäische Demokratie streiten?
Ein Essay zur Zukunft unseres Zusammenlebens
Zeit Zeugen
Wiltrud Gieseke
1918 – demokratischer Aufbruch und Bildung
Bildungs Praxis
von Ole Jantschek
Das HISTORY Summer Camp als handlungsorientierter Zugang zur Erinnerungskultur
Projektskizze von Miriam Menzel
1918 – 2018
Diversitätsbewusste Bildung zu Geschichte und Erinnerung
Vor Gänge
Aktuelle Aufrufe, Interviews und Stellungnahmen des bap / Demokratieförderung und politische Bildung / Projekt ‘Empowered by Democracy’ / Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung / v.f.h.: Demokratieförderung aus Leidenschaft
Lese Zeichen
Widerstand – ein Schlüsselbegriff politischer Bildung? / Geschlecht als sozialer Platzanweiser / Das Politische in sozialen Lernprozessen / Vorurteile, Empowerment und (selbst)kritische Reflexion / Ernest Jouhy: Widerspruch und Widerstand
Über Grenzen
Anita Haviv-Horiner
Grenzen-los? Persönliche Erfahrungen im deutsch-israelischen Dialog
Aus Blick
Netzwerk Demokratie/Geschichte 2018/19 / Modellprojekt jugendgemäßes Erinnern / Aktionstage Netzpolitische Bildung / Jugendopposition in der SBZ/DDR / Deutscher Weiterbildungstag 2018 / Personen & Organisationen / Veranstaltungen
Tentang Penulis
Anita Haviv-Horiner
in Wien geboren, ist die Tochter von Holocaustüberlebenden. 1979 Einwanderung nach Israel; Studium der Literaturwissenschaft an der Universität Tel Aviv; langjährige
Tätigkeit in der politischen Bildung und im israelisch-deutschen Dialog u. a. in Museen und Gedenkstätten. Durch ihre Workshops, Vorträge, Beratungsarbeit und Publikationen hat sie sich als eine der führenden Expertinnen in diesem Themenbereich etabliert.