Die vorliegende Studie wertet erstmals systematisch eine Serie von Krankenjournalen eines Südtiroler Landarztes des 19. Jahrhunderts nach geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten aus.
Der Autor orientiert sich dabei an den aktuellen Debatten der Gender Medicine und der Männergesundheitsforschung. Die gegenwärtigen Benachteiligungs- und Defizitdiskurse zum Krankheitsverhalten von Männern und Frauen werden ebenso in ihrer historischen Dimension untersucht wie die Debatten zur Pathologisierung des männlichen Geschlechtskörpers. Der besondere Erkenntnisgewinn der vorliegenden Studie liegt in ihrem methodischen Zugang: „Männer“ werden nicht als homogener Block begriffen, sondern binnengeschlechtlich nach einzelnen Lebensabschnitten differenziert. Säuglinge, Kinder, Erwachse in den verschiedenen Phasen der Erwerbstätigkeit und „Alte“ werden in jeweils eigenständigen Kapiteln hinsichtlich ihrer spezifischen Erkrankungen, Bedürfnisse und Forderungen nach den Dienstleistungen eines Arztes im 19. Jahrhundert analysiert.
Der Studie gelingt es nicht nur, Forschungsmeinungen zum geschlechtsspezifischen Inanspruchnahmeverhalten ärztlicher Dienstleistungen zu präzisieren. In mancher Hinsicht müssen die vorherrschenden Bilder vom generellen „Desinteresse“ der Männer an ihren kranken Körpern wohl relativiert werden.
Circa l’autore
Alois Unterkircher, geb. 1971. Promotion 2012 am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck mit einer Arbeit zur geschlechterspezifischen Medizingeschichte. Seit September 2012 research fellow am Medizinhistorischen Institut und Museum der Universität Zürich.
Forschungsgebiete: Sozialgeschichte der Medizin, Geschichte der Männlichkeiten, Materialität und Objektgeschichte(n) der medikalen Kultur.