Für die Forschung zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen scheint der Befund eindeutig: Auf einen mit äußerster Brutalität geführten Krieg folgte der von der SS vorangetriebene Versuch, zumindest den annektierten Westen des Landes in einen ‘Exerzierplatz’ rassischer Lebensraumpolitik zu verwandeln, in eine – so Himmler – ‘blonde Provinz’. Gerhard Wolfs Analyse fördert indes Erstaunliches zutage. Himmlers Pläne stießen bei verschiedenen Institutionen auf erbitterten Widerstand, als durch sie ein großer Teil der polnischen Bevölkerung als ‘rassisch ungeeignet’ deportiert werden sollte, und sie scheiterten schließlich an den lokalen Gauleitern. Deren Selektionsverfahren stellten nicht ‘Rasse’, sondern ‘Volk’ in den Mittelpunkt. Sie zielten mit Verweis auf die – freilich oftmals erzwungene – Bereitschaft der Einheimischen, die deutsche Herrschaft anzuerkennen, auf die Einbindung in die deutsche Volksgemeinschaft. Die Vermutung, in einem nach rassistischen Kriterien organisierten Staat werde sich die Konfliktpartei durchsetzen, die für eine rassistische Politik steht, ist naheliegend – in diesem Fall führt sie jedoch in die Irre.
Tabella dei contenuti
Inhalt
Einleitung
Forschungsliteratur
Quellen
‘Deutscher Drang nach Polen’
Antipolnische Germanisierungspolitik: auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat
Deutsche Minderheiten in Polen als Komplizen und Instrument deutscher Aggression
Revisionismus in der Weimarer Republik
Verkehrte Verhältnisse: Ausgleich mit Polen als Voraussetzung nationalsozialistischer ‘Lebensraum’-Politik
Entscheidung zum Krieg
Krieg: Projektion der ‘Lebensraum’-Dystopien auf Polen
Genese der ‘Lebensraum’-Politik im Krieg
Perpetuierung der Gewalt: Einrichtung der deutschen Besatzungsherrschaft
Neue Grenzen
Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums
Einrichtung der Zivilverwaltungen
Herrschaftssicherung: Bevölkerungspolitische Stabilisierung des deutschen Besatzungsregimes
Vertreibung und Ermordung potentieller Gegner
Die Nisko-Aktion: gescheiterter Auftakt
Modell Gotenhafen: Etablierung eines Umsiedlungskreislaufs
Durchgriff des Reichssicherheitshauptamtes
Erster Nahplan: Deportation der polnischen Elite
Einbindung der zuverlässigen ‘deutschen Volkszugehörigen’
Initiativen in den einzelnen Provinzen
Einführung der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Reichsinnenministerium
‘Lebensraum’: Bevölkerungspolitik im Spannungsfeld von rassischer Hybris und Herrschaftsrationalität
Herrschaftsfunktionale Dilemmata rassischer Deportationspolitik
Zwischenplan: Abschiebung von Juden oder Ansiedlung ethnischer Deutscher?
Zweiter Nahplan: rassische Angstphantasien und Arbeitskräftemangel
Kompromissversuch: rassische Musterung von (Zwangs-) Arbeitern
Madagaskar-Plan: dystopische Fluchten
Ausweitung der Deportationen im zweiten Nahplan
Dritter Nahplan: vom Kriegsverlauf überrollt
‘Rasse’ oder ‘Volk’? Konkurrierende Entwürfe für eine ‘deutsche Volksgemeinschaft’
Provinzielle Alleingänge
SS kontra Reichsinnenministerium
Die Macht der Gauleiter
Arbeitseinsatz: Bevölkerungspolitik als Ausbeutungs- und Assimilationspolitik
Zwangsarbeiter für das Deutsche Reich
Scheitern der rassischen Musterungen
Dritter Nahplan, zweiter Teil: Kompromissversuche
Erweiterter dritter Nahplan: endgültiger Kollaps des Umsiedlungskreislaufs
Auflösung der Umwandererzentralstellen
Assimilation
Einführung der Deutschen Volksliste in allen annektierten Gebieten Westpolens
Beschleunigung und Vereinfachung des Selektionsverfahrens
Endgültige Marginalisierung der rassischen Musterungen
Einstellung der Erfassungen
Fazit
Danksagung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Archive
Quelleneditionen, Dokumentationen
Zeitgenössische Literatur (bis 1945)
Darstellungen
Personenregister
Circa l’autore
Gerhard Wolf, Dr. phil., geboren 1972, ist DAAD Lecturer for Modern German History an der University of Sussex in Brighton/UK.