Hauptmann Merks von der deutschen Kriminalpolizei reist von einer Dienstreise mit dem Nachtexpress durch Nordpolen zurück nach Hause. Ein deutscher Mitreisender sucht das Gespräch mit ihm und erzählt eine merkwürdige Geschichte, die sich vor wenigen Wochen an seiner Schule zugetragen haben soll. Ein verheirateter Lehrer verliebte sich in eine sehr hübsche Praktikantin und stürzte von einer drei Meter hohen Leiter und war sofort tot. Der Erzähler zweifelt an der Unfalltheorie, Hauptmann Merks, der aufmerksam zuhört, aber auch. Als der Zug in Koszalin anhält, hat Merks den Fall geklärt.
LESEPROBE:
„Ach! Ist er tot?“, fuhr es mir, lauter, als ich eigentlich wollte, heraus. Das Männchen hörte augenblicklich mit Schnarchen auf. Wieder sah es mit schläfrigem Blick zu uns herüber. Dann aber rückte es sich zurecht und schloss die Augen. Bald darauf rasselte und fiepte es wieder, als wollte es die Wälder da draußen bis auf die Wurzeln abrasieren.
„War es wirklich ein Unfall?“, fragte Stern, wie es den Anschein hatte, mehr für sich, als dass er mir die Frage stellte. „Die Polizei, müssen Sie wissen, stellte einwandfrei einen Unfall fest. Tod durch Sturz von einer drei Meter hohen Leiter. Niemand war im Zimmer gewesen. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass es Mord war.“
Er schwieg. Erwartete meine Reaktion. Ich hütete mich, etwas zu sagen. Jetzt durfte ich ihn nicht unterbrechen. Er war so weit, dass er seine Geschichte auf jeden Fall zu Ende bringen würde. Auch, wenn ich dabei eingeschlafen wäre und er keinen besseren Zuhörer gehabt hätte als die Wand des Abteils, auf die seine blauen Augen jetzt starrten, als wollten sie ein Loch in das Holz bohren. Mir fiel auf, dass das Krampfhafte, Angestrengte, Überspannte oder wie immer man es nennen mochte, was sich in Sterns Blick abzeichnete, auf eigenartige Weise gepaart war mit einem kaum merklichen hintergründigen Flackern, das einen wie bitterster Spott anmutete, so, als lache der Bursche mich insgeheim aus. Ich musste an das Wort denken, das der Schuldirektor zu ihm gesagt hatte. Mit Macbeth hatte er ihn verglichen — mit dem Mann, der aus krankhaftem Ehrgeiz zum Mörder wurde. Ich war mit Elisabeth in dem Stück gewesen, damals, als ihr Brokatkleid noch die große Mode darstellte. War schon eine Weile her …
„Als Marlen Fischer die dritte Woche bei uns war, hielt sie eine Deutschstunde in der Zwölften. Elger saß hinten in der Klasse und hatte die Aufgabe, sich über Marlens Unterrichtsmethodik Notizen zu machen.
Circa l’autore
Steffen Mohr wurde am 24. Juli 1942 in Leipzig geboren, wo er auch aufgewachsen und bis heute geblieben ist. Nach dem Abitur studierte er sowohl (katholische) Theologie als auch Theaterwissenschaften, welche er 1966 mit einem Diplom abschloss. Nach seiner Ausbildung am Leipziger Literaturinstitut kam 1975 ein zweites Diplom hinzu. Davor hatte Mohr unter anderem als Hilfsarbeiter und Hilfsschauspieler, als elektrischer Prüfer und als Redakteur beim „Sächsischen Tageblatt“ sowie als Regieassistent beim Jugendtheater und als Dramaturg beim DDR-Fernsehen (Krimi-Genre), aber auch als Briefträger und Leiter wilder Theatergruppen gearbeitet. Seine erste Kriminalstory hatte Mohr 1966 unter dem Pseudonym „Harald Eger“ in der bekannten „Blaulicht“-Reihe veröffentlicht – „weil mir sonst als Student das Honorar vom Stipendium abgezogen worden wäre“. Weitere Bücher folgten und schließlich 1989 gemeinsam mit dem West-Berliner Autor -ky (Hinter diesem Kürzel verbirgt sich der erfolgreiche Kriminalschriftsteller und Soziologieprofessor Dr. Horst Bosetzky, Jahrgang 1938) der erste und zugleich letzte deutsch-deutsche Krimi „Schau nicht hin, schau nicht her“ – erschienen zwei Monate vor dem Mauerfall. Eine literarische Spezialität des Leipziger Künstlers, der auch als Dozent für kreatives Schreiben tätig ist und der Freien Literaturgesellschaft Leipzig e.V. vorsteht, sind seine Rätselkrimis, die bundesweit in Zeitungen mit einer wöchentlichen Auflage von etwa 1 Million Exemplaren veröffentlicht werden. Darin lässt Mohr nicht nur den Leipziger Kommissar Gustav Merks ermitteln, sondern vor allem seine kriminalistisch veranlagten Leserinnen und Leser.