In Allegorien schreiben heißt etwas Abstraktes bildhaft zu benennen und es so leichter verständlicher zu machen. So etwa, wenn eine Frauengestalt für so abstrakte Begriffe wie Freiheit oder Gerechtigkeit steht. Aber auch Tiere wurden schon immer sehr gern dafür benutzt, Stellvertreter für etwas anderes zu sein, was man nicht unbedingt so direkt beim Namen nennen wollte – wie zum Beispiel der Löwe, der für den König stand.
An diese alte Tradition, Tiere statt Menschen sprechen und handeln zu lassen, knüpft Uwe Berger in seinen Sinngedichten an. Hier einige Demonstrationsobjekte, wovon besonders die „Schafherde“ zum vergnüglichen Nachdenken und zu nachdenklichem Vergnügen Anlass geben sollte:
Feigheit
Das Äffchen hat ein Fenster eingeschmissen
beim Spiel und ist dann einfach ausgerissen.
Vor Zorn fängt Vater Gibbon an zu schreien:
»Nur deine Feigheit kann ich nicht verzeihen.«
Ich weiß! Ich weiß!
»Gehst du mit Schlittschuhn auf das Eis,
mein Sohn«, mahnt Mutter Hase,
»pass auf!« Der schreit: »Ich weiß! Ich weiß!«
Und liegt schon auf der Nase.
Aussehen
Die Katze zetert mit dem Hund:
»Du machst ein tückisches Gesicht!«
Der bellt: »Ich seh so aus. Na und?
Bestrafen kann man das wohl nicht.«
Fuchs und Bär
Der Fuchs empfiehlt dem Bären: »Sei
so schlau wie ich, mach kein Geschrei!« —
»Sehr klug bist du, mein Freund, doch hör
sagt der, »ich lieb das Recht zu sehr.«
Wes Geistes Kind
Ein Maultier naht sich ziemlich bescheiden
den Pferden und fragt: »Mögt ihr mich leiden?« —
»Von Interesse«, sagen die, »ist es nicht,
welcher Gattung und Herkunft du bist,
sondern was für ein Geist aus dir spricht
und mit wessen Maßen du misst.«
Blindheit
Der Maulwurf hat ein Lied gemacht
voll Lob auf ewig dunkle Nacht.
Er kennt nicht Wechsel und
nicht Licht,
und darum mag er beides nicht.
Delfine
Delfin singt pfeifend zu Delfin,
als sie wie Licht durchs Wasser ziehn:
»Der Mensch ist ja ein nettes Tier,
doch schwimmen kann er nicht wie wir.
Ist einer mal ins Meer gefallen —
wir helfen ihm, dass er helf allen.«
Spatzenversammlung
Der kleine Sperling möchte etwas sagen.
Da musst du um Erlaubnis fragen
den Spatzenherrscher, sagen die da tagen,
wie kannst du sonst zu reden wagen.
Unter Pavianen
Ihre Meinung soll sie sagen,
meint der Pascha. Mag sie’s wagen!
Paschas haben Frauen,
denen sie nicht trauen.
Schafherde
Nur dulden und erleiden
und nicht sich selbst entscheiden.
Nicht wissen, wer man sei –
man war noch niemals frei.
Tabella dei contenuti
Made im Apfel
Fütterung
Hilfe
Aufgeblasener Frosch
Nicht gern alleine
Gefahr
Frechheit
Ausreden
Feigheit
Wachsen
Dreckspatz
Ich weiß! Ich weiß!
Andere
Schülerhaltung
Aussehen
Hasen-Klasse
Baum und Vogel
Mit erhobenem Kopf
Das Richtige tun
Fuchs und Bär
Überheblichkeit
Wes Geistes Kind
Wölfisches Benehmen
Verteidigung
Falsche Schlange
Einsiedlerkrebs
Im Schneckenhaus
Der Uhu
Vertrauen
Hohn
Pfau
Gockelei
Die Liebe der Gans
Der verlogene Dieb
Die Illusion
Star und Hamster
Die Raupe
Das Fehlurteil
Blindheit
Delfine
Aalglatt
Spatzenversammlung
Hochmut
Würdenträger
Dran sein
Edle
Unter Pavianen
Unvorsichtig
Tollwütiger Hund
Beschluss der Kampfhähne
Getuschel der Hennen
Die Elster
Überheblich
Gradaus
Weitblick
Die Libelle
Eichhorns Alltag
Blick der Amsel
Der Seehund
Schafherde
Gehversuche
Kommt bald wieder!
Kater-Vater
Kein Gespräch
Besser als
Bild von der Wiese
Antwort
Eiertanz
Biene und Holzwurm
Spiegel
Circa l’autore
Uwe Berger wurde 1928 in Eschwege geboren. Seine Jugend verlebte er in Emden und Augsburg. Mit 15 Jahren war er Flakhelfer bei Berlin. Anfang 1945 meldete er sich, um nicht zur Waffen-SS gezogen zu
werden, freiwillig zur Kriegsmarine. Im selben Jahr wurde er vorzeitig aus britischer Gefangenschaft entlassen. Während seines Studiums in Berlin (Germanistik, Kunstwissenschaft) arbeitete er im Volk und Wissen Verlag. Bald darauf wurde er in den Aufbau-Verlag geholt. Wegen eines positiven Gutachtens zu Hanns Eisler („Johann Faustus’) maßregelte ihn die SED. Ermutigt sah er sich von Friedrich Wolf und Jahre danach von dem Schriftsteller und späteren estnischen Staatspräsidenten Lennart Meri.
Literarisch bedeutsame Reisen nach Nordrussland (Nowgorod) und Mittelasien, nach Sibirien und anderen Ländern unternahm er mit seiner Frau und Gefährtin.
Er ist 2014 in Berlin verstorben.
Bibliografie
Lyrik und Prosa
Die Einwilligung. Sechs Erzählungen
Straße der Heimat. Gedichte
Der Dom in dir. Gedichte
Der Erde Herz. Gedichte
Hütten am Strom. Gedichte 1946-1961
Rote Sonne. Skizzen und Aufzeichnungen
Mittagsland. Gedichte. Aufbau-Verlag
Gesichter. Gedichte. Aufbau-Verlag
Die Chance der Lyrik. Aufsätze und Betrachtungen
Bilder der Verwandlung. Gedichte
Arbeitstage. Aus dem Tagebuch 1964-1972
Feuerstein. Gedichte. Auswahl und Nachwort von Armin Zeißler
Lächeln im Flug. Gedichte
Backsteintor und Spreewaldkahn. Märkische Landschaften
Nebelmeer und Wermutsteppe. Begegnungen
Zeitgericht (Gedichte 1946-1975)
Leise Worte. Gedichte
Der Schamanenstein. Menschen und Orte
Lächeln im Flug. Ausgewählte Gedichte (1946-1978; russisch)
Nur ein Augenblick. 99 Reiseskizzen
Auszug aus der Stille. Gedichte
Das Verhängnis oder Die Liebe des Paul Fleming (Roman)
Die Neigung. Roman
In deinen Augen dieses Widerscheinen. Gedichte
Woher und wohin. Aufsätze und Reden 1972-1984
Das Gespräch der Delphine. Tierverse
Weg in den Herbst
Traum des Orpheus. Liebesgedichte 1949-1984
Last und Leichtigkeit. Oden
Flammen oder Das Wort der Frau
Suche nach mehr. Roman. 1989-1991
Atem. Liebesgedichte und Grafiken
Räume. Verse und Bilder
Pfade hinaus
Wegworte. Gedichte und Zeichen
Kater-Vater. Sinngedichte
Den Granatapfel ehren, Hundert Gedichte 1946 – 1989
Du wirst sein. Gedichte und Zeichen
Vom Sinn. Nachlese
Ungesagtem lauschen. Aus dem Tagebuch der Jahre 2000 bis 2012
Suche nach mehr
Das Gespräch der Delfine und anderer Tiere
Ein Schiff fährt über Land. Ostfriesland und das Meer