Untersuchungsgegenstand des vom Historischen Kolleg (München) geförderten Unternehmens ist das Verhältnis von ‚Kulturmustern’ und ‚Erzählmustern’. Die Untersuchung setzt an rekurrenten ‚Erzählkernen’ an, d.h. an der Kombination von offensichtlich als problematisch oder faszinierend erfahrenen Themen mit wiederkehrenden Erzählverläufen. Sie nimmt dabei Anregungen der neueren Narratologie auf, fragt insbesondere bei den Plots höfischer, (in geringerem Maße) auch heroischer Epik nach abgewiesenen Alternativen, narrativer Kompromissbildung, Prozessierung antagonistischer Strukturen, Hybridisierung von Erzählschemata u.ä. Grundthese ist, dass dergleichen narrative Verfahren sich an Problemkonstellationen abarbeiten, die in einer historischen Kultur aporetisch sind, und dass sie für eine historische Gesellschaft ‚Lösungen’ von diskursiv nicht vermittelbaren Problemen vorschlagen. Die volkssprachige Literatur des hochmittelalterlichen Adels in Deutschland erweist sich damit als Medium einer Bearbeitung des gesellschaftlichen Imaginären. Ausgewählt wurden Problemkonstellationen, die mit einer ‚Geschichte des Ich’ zusammenhängen: Erzählungen um Genealogie und art, um Familie und religiöse Gemeinschaft, um Namen, um Identitätskrisen, um das hochmittelalterliche Öffentlichkeitsprinzip, um die Darstellung von Innerlichkeit, um Minne und um Passion.
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Jan-Dirk Müller, Ludwig-Maximilians-Universität München.