Auf dem Trittbrett des Autos sitzend, kratzte ich mir den Schlamm von den Schuhen.
Ein gellender Schrei ließ mich zusammenfahren.
„SHILUMBU“ – und noch einmal: „SHILUMBU!“
Ich wandte mich um, der Junge war nicht zu sehen. Einen Augenblick später höhnisches Gelächter, das merkwürdig widerhallte. Ich kletterte auf die Pritsche des Wagens, wartete. Die Sonne löste die letzten Nebelfetzen auf. Plötzlich entdeckte ich zwischen den Kaffeesträuchern eine Gestalt, die regungslos verharrte. Ein Mann. Er trug zum zweireihigen Jackett ein helles Hemd. Wie ein Strick zog die Krawatte den Hemdkragen zusammen, der Hals wirkte seltsam spindlig. Kinn und auch Nase standen dem Mann schief im Gesicht. Ich winkte ihm zögernd. Ein Sonnenfleck strich über den Hügel. Lautlos zog sich die Gestalt ins Grün der Plantage zurück. Schweiß rann mir am Körper herab. „Hallo“, rief ich, „hallo!“ Niemand zeigte sich.
Da war es wieder dieses Wort, das dem Helfer aus der GDR galt, der jetzt zum wiederholten Male in Afrika war, in Angola, um Mitte der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts dort beim friedlichen Aufbau zu helfen – Solidarität konkret.
SHILUMBU – das bedeutet so viel wie weißer Mann. Aber wie war es hier gemeint? Freundlich? Unfreundlich?
Es ist nicht einfach für ihn zu verstehen. Denn während ihm wieder versichert wurde, dass SHILUMBU kein Schimpfwort sei, erlebte er es dennoch anders:
Lidya und Morningstar, Elisabeth und Joe, alle versicherten mir, dass SHILUMBU kein Schimpfwort sei. Aber das änderte nichts. Tauchte ich in einem Winkel des Camps auf, in dem man mich nicht kannte, erwiderten die Erwachsenen meinen Gruß, mich neugierig anschauend, mit Zurückhaltung, aber keineswegs unfreundlich. Die Kinder indes, die kleinen vor allem, schrien es heraus, angstvoll mit schreckensweiten Augen. In Panik zerrten sie die kleineren Geschwister hinter sich her, brachten sich in Sicherheit. In den ersten Tagen machte ich den Versuch, ihnen zu folgen, ich wollte sie beruhigen, ihnen zeigen, dass ich nicht der bin, für den sie mich hielten.
Noch viel schlimmer empfand er Ablehnung und Verachtung der Halbwüchsigen: Sie verschränkten die Arme vor der Brust und legten all die Herablassung, zu der sie fähig waren, in die Stimme – SHILUMBU. Es traf mich jedes Mal von Neuem, auch später, als wir uns kannten und sie sich an schlechten Tagen einen Jux daraus machten, es mir nachzurufen.
Und da musste er an seinen Großvater denken und an eine ganz bestimmte Ausstellung, die Kolonialausstellung
Table of Content
PROLOG
DAS TRANSIT-CAMP
ÜBER DONDO NACH N’DALATANDO. ODER RICHTUNG CALULO
MEIN ERSTER MORGEN IM CAMP
DIE LETZTEN HÜTTEN CAXICAS
DAS CAMP HATTE KEINEN ZAUN
FRÜHER MORGEN
LIEBE RITA
DIE SCHWEDEN WAREN NICHT ZU ÜBERSEHEN
BOM DIA
DEN SCHMERZ DER BÄUME KENNT NIEMAND
MARTTI WAR ANGEKOMMEN
BOTSWANA IM CAMP!
WAS WILL DER SHILUMBU IN AFRIKA!
SAM NAMBINGA IST EIN VERRÄTER
SONNENAUFGANG
EINMISCHUNG UND INTOLERANZ
LIDYA WAR IN SORGE
MONTAG KOMMT DER REGEN!
LUNGENTUBERKULOSE
SIE HABEN BAZOOKAS!
TRAUMVISION, DREI NÄCHTE DANACH
SANFTER ZWANG DER DÄMMERUNG
DAS MEER
DAS LEBEN EINES MENSCHEN IST KURZ
ABSCHIEDSSTIMMUNG
EPILOG
ANMERKUNGEN
About the author
Jürgen Leskien
19.10.1939 in Berlin-Friedrichshain geboren.
Ausbildung und Arbeit als Motorenschlosser. Ab 1959 Offizier, Flugzeugführer/Navigator der Luftstreitkräfte der DDR. Ingenieur für zivile Flugsicherung, 1972 Entlassung aus der Armee.
Ab 1972 Studium der Theaterwissenschaften an der Theaterhochschule Leipzig, Arbeiten über Heinrich von Kleist, 1977 Diplom.
Dramaturg beim Fernsehen der DDR in Berlin. Seit 1978 freiberuflich tätig.
1978/79, 1981, 1982 Arbeit als Kfz-Schlosser im Rahmen der Entwicklungshilfe der DDR in Angola.
1983/84, 1988/89 Arbeit im UNHCR Flüchtlingscamp für namibische Flüchtlinge (Kwanza Sul in Angola) und im „ ANC Entwicklungs- und Ausbildungscamp Dakawa (Tansania) / Mazimbu“.
Die Berührung mit AFRIKA wird prägend für die schriftstellerische und publizistische Arbeit.
März 1990 bis Oktober 1990 Mitglied der Volkskammer der DDR.
Mitarbeit u. a. im ‘Ausschuss für Entwicklungspolitik’. Als Parlamentarier offizieller Namibiabesuch, Rückführung der in der DDR lebenden namibischen Flüchtlingskinder.
1991 Teilnahme an der Afrikanischen Buchmesse in Harare / Simbabwe.
1994 / 1995 Mitinitiator der Spendenaktion ”Fischkutter für Angola”, 1995 als Maschinenassistent an Bord, Überführung eines ”DDR/Treuhand-Fischkutters” von Rostock nach Luanda.
Seit 1990 Arbeit in Namibia, u.a. Mitarbeit am Konversionsprojekt (ehemalige Basis der Südafrikanischen Luftwaffe, Projektleiter vor Ort) des Bremer Afrika Archivs und des Centre of Africa Studies (Universität Bremen) – ‘Ruacana Education with Production Centre’ in Ruacana / Namibia.
Seit 2005 engagiert in der AFRI-LEO Foundation Namibia/Damaraland.
Bis 1992 Berlin-Prenzlauer Berg, seit 1993 Wohnsitz in Kleinbeuthen bei Berlin, wahlweise Namibia – Swakopmund, Damaraland, Farm Karos.
Literaturpreise
Erich Weinert Literaturpreis 1978
Literaturpreis der Stadt Berlin (DDR) 1984
FDGB-Literaturpreis 1987