Kopflose Dämonen, Geister toter Krieger und unheilbringende Fabelwesen treffen auf ehrenhafte Samurai, weise Mönche und tapfere Bürger aus dem Land der aufgehenden Sonne. Lafcadio Hearns Sammlung japanischer Spukgeschichten ist schauerlich unterhaltsam. Zugleich vermittelt sie dem Leser ein tiefes Verständnis von Wertvorstellung und Tradition im alten Japan.
In Japan hat sich über Jahrhunderte hinweg, unter dem Einfluss historischer Ereignisse und der shintoistischen und buddhistischen Religion, eine große Vielfalt von Mythen, Sagen und Legenden entwickelt. In einem Land, das immer wieder von schicksalhaften Katastrophen heimgesucht wird, versuchen die Bewohner in eine Traumwelt zu entfliehen, in der übernatürliche Wesen für Glück und Unglück der Menschen verantwortlich gemacht werden. In den mündlichen und schriftlichen Überlieferungen dieser Legenden finden sich viele unheimliche Geschichten, die mit dem westlichen Genre der Spuk- oder Gespenstergeschichten verglichen werden können. Lafcadio Hearns Sammlung unheimlicher Geschichten erschien erstmals im Jahre 1904. Seine Geschichten unterscheiden sich stilistisch von den westlichen Gespenstergeschichten aus der viktorianischen Zeit. Während man dort oft konstruierte Spannung und berechnende Schockeffekte findet, so zeichnen sich Hearns Erzählungen durch Einfachheit und Natürlichkeit aus. Man bekommt das Gefühl, dass das Übernatürliche zum Leben gehört und dies macht den besonderen Zauber dieser Geschichten aus. Aufgrund seiner Affinität zur japanischen Kultur und zu den Menschen gelingt es Hearn, die philosophischen uns psychologischen Aspekte der Geschichten zu erfassen und für den westlichen Leser zu interpretieren. Lafcadio Hearn ist ein leiser, subtiler Vertreter in der Riege der Autoren phantastischer Literatur. Seine Geschichten weisen dennoch eine Kraft auf, die noch lange nachwirkt, nachdem man seine Bücher aus den Händen gelegt hat. Der vorliegende Band enthält neben 20 Erzählungen von Lafcadio Hearn auch ein Kapitel über Masaki Kobayashis kongeniale Verfilmung aus dem Jahr 1964.
About the author
‘Japan hat sein Adoptivkind verloren’, schrieb Hugo von Hofmannsthal unter dem Eindruck von Lafcadio Hearns Tod im Jahre 1904. Hearn kam 1890 im Alter von 40 Jahren nach Japan. In einer Zeit, als andere westliche Besucher instruierend und belehrend auftraten, betrat Hearn das Land um zu lernen und zu verstehen, was japanische Kultur und Mentalität ausmacht. Er heiratete eine Japanerin und nahm schließlich auch die japanische Staatsbürgerschaft und den japanischen Namen Koizumi Yakumo an. Parallel zu seiner Tätigkeit als Lehrer an Schulen in Matsue und Kumamoto, später an der Universität von Tokyo, verfasste er mehr als ein Dutzend Bücher über Japan. Wie keinem anderen Ausländer gelang es Hearn in seinen Schriften, die japanische Lebens- und Denkweise für die westliche Welt verständlich zu interpretieren. Dabei galt sein Interesse stets dem Sonderbaren, Übernatürlichen und Befremdlichen. Hearns Sammlung unheimlicher Geschichten – Nacherzählungen japanischer Legenden und Volkssagen – stellt einen wichtigen Bestandteil seines Gesamtwerkes dar. Hearns Werke haben das westliche Bild Japans im beginnenden 20. Jahrhundert entscheidend geprägt. Auch heute noch gilt Lafcadio Hearn im Land der aufgehenden Sonne als der Ausländer, der die japanische Kultur und Lebensweise am tiefgründigsten verstanden und beschrieben hat.