Die hier erstmals übersetzten fünfundsiebzig handschriftlichen Bögen von Marcel Proust sind die Keimzelle seines siebenbändigen Romanwerks Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu). Man wusste, dass es sie gibt, aber sie waren verschollen. 2018 im Nachlass des Proust-Forschers und Verlegers Bernard de Fallois endlich gefunden, erschienen sie 2021 bei Gallimard: eine Sensation.
Wir begegnen vielen aus der Lektüre der Recherche bekannten Figuren und Szenen, hier noch belassen in der Ursprünglichkeit früher Erinnerung: an die geliebte Mutter, das Kindheitsdrama des Zubettgehens, die jungen Mädchen am Strand. Proust ist erkennbar noch auf der Suche: nach den literarischen Mitteln, sein Leben zu erzählen, sein unendliches autobiographisches Material zu organisieren. Bei aller sprachlichen Meisterschaft liegt der Reiz dieser Texte auch in ihrer Unmittelbarkeit, ihrem bekenntnishaften Ton. Erst später gelingt Proust dann der letzte und entscheidende Schritt: das Erinnern selbst zum Gegenstand des Erzählens zu machen.
Sich dieser Urzelle der Recherche anzunähern bedeutet, Prousts lebenslanger Erinnerungs- und Schreibarbeit und damit dem Geheimnis des Romans auf die Spur zu kommen.
Die deutsche Ausgabe erscheint in besonderer Ausstattung in der Übersetzung von Andrea Spingler und Jürgen Ritte
About the author
Jürgen Ritte ist emeritierter Professor für Literaturwissenschaft und interkulturelle Studien an der Université Sorbonne Nouvelle in Paris. Er ist Mitbegründer und Vizepräsident der Marcel Proust Gesellschaft und Autor zahlreicher Publikationen zur deutschen und französischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 2016 erschien die von ihm herausgegebene zweibändige Auswahl: Marcel Proust, Briefe 1879-1922, 2022 sein Buch Marcel Proust am Genfer See.