Er war der erste, dem Immanuel Kant von seinem Plan erzählte, die Grenzen der Sinnlichkeit und der Vernunft zu beschreiben. Marcus Herz, der Vertraute und Freund, gehört zur Entstehungsgeschichte der Vernunftkritik wie kein Zweiter. Er sorgte nicht nur maßgeblich für die Verbreitung der kritischen Philosophie in Berlin, sondern erkannte auch die Konsequenzen der Erkenntnistheorie für alle Wissenschaften und insbesondere für seine eigene Zunft: die Medizin. Herz, der das fortschrittlichste Krankenhaus seiner Zeit leitete, forderte eine »vollständigere Vernunftgemäßheit des Heilsgeschäfts«, mit anderen Worten, eine erweiterte Perspektive auf den menschlichen Körper. Mit seinem »Versuch über den Schwindel« sucht Marcus Herz nicht weniger als die Grundlage für eine wissenschaftliche Beschreibung des wechselseitigen Verhältnisses von Geist und Körper. Der Ansatz ist ebenso originell wie modern: Wer mehr über die Grenzen der Sinnlichkeit und der Vernunft wissen will, kann auch dorthin schauen, wo uns das Denken schwindeln macht. Nicht allein die Dialektik der Vernunft, auch die Krankheit ist ein Prüfstein jeder Erkenntnistheorie. Nur wer ein psychologisch-neurophysiologisches Phänomen wie den Schwindel beschreiben kann, hat auch klare Begriffe des menschlichen Geistes. Kant nannte seinen Freund genau darum respektvoll einen »Experimentalphilosophen
«. Diese Edition ist die erste historisch-kritische Ausgabe der Schrift. Sie folgt der grundlegend überarbeiteten zweiten Auflage von 1791 und bietet neben einer kommentierenden Einleitung und Erläuterungen auch Material zur Geschichte des Textes, der parallel zu Kants »Kritik der Urteilskraft« entstand. Erstmals erfolgt der Abdruck zusammen mit der Ergänzung von 1797.
About the author
Bettina Stangneth (* 1966 in Lübeck) ist eine deutsche Philosophin und Historikerin und Autorin mehrerer Bücher. Stangneth absolvierte in Hamburg ein Studium der Philosophie bei Klaus Oehler und Wolfgang Bartuschat. Sie promovierte im Jahr 1997 mit einer Arbeit über Immanuel Kant.
Im Jahr 2000 verlieh die Philosophisch-Politische Akademie Stangneth den Ersten Preis für ihre Arbeit zum Antisemitismus bei Kant. Ihr international bekanntestes Buch heißt Eichmann vor Jerusalem, in Anspielung auf Hannah Arendts berühmtes Buch Eichmann in Jerusalem. Stangneth beschreibt das Leben und die öffentliche Wirkung des Nationalsozialisten Adolf Eichmann bis zu seinem Prozess in Israel 1961.
2012 veröffentlichte Stangneth die Tagebücher und Erinnerungen von Avner Werner Less, dem Verhöroffizier von Eichmann in Jerusalem unter dem Titel Lüge! Alles Lüge!. 2016 veröffentlichte sie eine philosophische Abhandlung über das böse Denken. Stangneth lebt in Hamburg und arbeitet an einer Theorie der Lüge.