Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Judentum an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen begann mit der Berufung Adolf Schlatters (1852–1938) zum Sommersemester 1898. Mit Schlatters Nachfolger, dem Neutestamentler Gerhard Kittel (1888–1948), der während der Weimarer Republik mit jüdischen Kollegen zusammenarbeitete, erreichte sie einen ersten Höhepunkt. Aufgrund judenfeindlicher Äußerungen Schlatters und wegen der Verstrickung Kittels in den Nationalsozialismus waren der Neubeginn der Arbeit nach dem 2. Weltkrieg und die Gründung des Institutum Judaicum durch Otto Michel (1903–1993), der selbst Mitglied der NSDAP gewesen war, historisch belastet. Michels Bestreben war darauf gerichtet, nach der Schoah jüdische und christliche Forscher wieder zusammenzubringen; zugleich verschwieg er aber seine eigene Vergangenheit und konnte nicht an die Kooperationen der Weimarer Zeit anknüpfen. Dieser Band versammelt Beiträge zur Geschichte der Tübinger ‘Judentumsforschung’, die die Frage nach dem bleibenden Einfluss Adolf Schlatters, die Geschichte des Institutum Judaicum bis zu Martin Hengel (1926–2009), Otto Michels Hebräerbriefkommentar und die zeitgeschichtliche Situation im Tübingen der 1950er und 1960er Jahre in den Blick nehmen.
About the author
Reinhold Rieger ist apl. Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Forschungsinteressen: Theologiegeschichte des Mittelalters und der Reformation, des 19. und 20. Jahrhunderts.