„Sie hatte noch nie ein Erdbeben erlebt, aber so – hatte sie das Gefühl – müsste es sich ankündigen: ein undefinierbares Dröhnen, ein Zittern des Bodens, eine gelbgraue Wolke, die vom Horizont her auf sie zutrieb, dann ein Donnern und Schlagen und endlich, wie zum Niederstampfen auf sie angesetzt, der Pulk der Kamele: Die Hälse hochgereckt, trompetend, blökend, rasten die Tiere auf sie zu. Philipp schrie, sie solle sich um Gottes willen zurückhalten, aber dazu war sie nicht hergekommen, und trotz der beklemmenden Furcht, die sie vor der Urgewalt der anstürmenden Leiber ergriffen hatte, trat sie ihnen entgegen. Gewiss, sie musste hin und her springen vor oder inmitten der stampfenden, sich gegenseitig bedrängenden Kamele, die wie eine gelbbraune, helle, ockerfarbene Masse um sie herum wogten, von den beiden berittenen Hirten mit Stöcken und Hunden in Schach gehalten. Aber es gelang ihr, diesen freien Geschöpfen nahe zu sein, ihren herben strengen Duft einzuatmen und wenigstens einen Augenblick in ihre großen lidlosen Augen zu sehen, in denen sich die ganze Welt zu spiegeln schien. Jetzt wusste sie, was es bedeutete, wenn die Einheimischen die Schönheit mit dem Kamelauge verglichen. Es kam keine Ruhe in die Herde, sie strebte davon, suchte der Menschenhorde zu entfliehen.
Die Hirten stiegen keinen Augenblick aus dem Sattel, und kaum, dass sie gekommen waren, jagten sie pfeifend und rufend mit der Herde zurück in die ruhevolle heimische Steppe. Es war wie ein Spuk, und minutenlang fragte sie sich, ob sie dies eben wirklich erlebt hatte … Sie aber stand neben den Akazienbüschen und blickte der schnell sich entfernenden Staubwand nach. Sie hatte das Gefühl, ihr entschwände ein Stück Welt, das sie niemals wiederfinden würde …“
Solche und andere Erlebnisse abenteuerlicher, seltsamer oder alltäglicher Art schildert Egon Richter in seiner interessanten Reisereportage aus einem fernen Land, wo zwischen den Bergen Ostsibiriens, der Mongolei und Chinas der britische Weltreisende Carruthers im Kohlfeld eines Siedlers den Mittelpunkt Asiens markierte, Regierung und Parlament sich in einem hölzernen Blockhaus versammelten und bunte dreieckige Briefmarken mit französischem Text den Namen des unbekannten Staates über die Welt trugen: TUWA.
Mengenai Pengarang
Geboren 12. Dezember 1932. Abitur, Redaktionsvolontär, Studium (Germanistik),
Reporter. Seit 1967 im Schriftstellerverband, freischaffend. Gestorben am 14. Juni 2016.
Auszeichnungen:
1971 Kunst- und Literaturpreis des Bezirkes Rostock
1974 Orden ‘Banner der Arbeit’
1976 Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold
1977 Gryf Pomorski der VR Polen
1978 Heinrich-Heine-Preis der DDR.
Auswahlbibliografie
Ferien am Feuer. Erzählung. Hinstorff Verlag, Rostock 1966
Zeugnis zu dritt. Roman. Hinstorff Verlag, Rostock 1968
Sehnsucht nach Sonne. Ein Buch über Sibirien. Hinstorff Verlag, Rostock 1972
Aussagen über einen Nachbarn. In: Liebes- und andere Erklärungen. Aufbau Verlag, Berlin 972
Gedanken im Fluge. In: Stimme des Menschen. Volkstheater Rostock, 1974
Abflug der Prinzessin. Roman. Hinstorff Verlag, Rostock 1974
Der goldene Schlüssel von Mangaseja. Kinderbuchverlag, Berlin 1975
Eine Stadt und zehn Gesichter. Ein Buch über Szczecin. Hinstorff Verlag, Rostock 1976
Der Lügner und die Bombe. Vier untypische Liebesgeschichten für Männer. Hinstorff Verlag, Rostock 1979
Der Tod des alten Mannes. Erzählung. Hinstorff Verlag, Rostock 1983
Der lange Weg nach Afrika: Schauspiel. Volkstheater Rostock, 1984
Mit Katzensprüngen ins Land der Fische. Kinderbuchverlag, Berlin 1985
Im Lande der weißen Kamele. Ein Buch über Tuwa. Hinstorff Verlag, Rostock 1986
Die letzte Fahrt der Königin Luise. Roman. Verlag der Nation, Berlin 1988