‘Da wir glauben, daß der Nationalsozialismus ein Unstaat ist oder sich dazu entwickelt, ein Chaos, eine Herrschaft der Gesetzlosigkeit und Anarchie, welche die Rechte wie die Würde des Menschen ‘verschlungen’ hat und dabei ist, die Welt durch die Obergewalt über riesige Landmassen in ein Chaos zu verwandeln, scheint uns dies der richtige Name für das nationalsozialistische System: Der BEHEMOTH’.
Franz L. Neumann
Franz Neumanns ‘Behemoth’ gilt heute als ein moderner Klassiker der Sozialwissenschaft. 1942, in der Entscheidungsphase des Zweiten Weltkrieges publiziert, war das Buch die erste Gesamtdarstellung Hitler-Deutschlands aus Emigranten-Feder. Die empirische Analyse der vier Säulen der NS-Gesellschaft (Monopolwirtschaft, Staatsbürokratie, NSPartei, Wehrmacht) und die kühne These von der chaotischen Struktur des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, auf die der Name aus der jüdischen Mythologie verweist, sind eine Herausforderung für die historische NS-Forschung geblieben. Für die Einführung in ein Werk von diesen Dimensionen halten sich die Autoren des ad-Bandes an verschiedene Formate: Der Beitrag von Alfons Söllner ist biographisch orientiert und stellt Franz Neumann als exemplarischen Vertreter der politischen Emigration heraus; Michael Wildt stellt den ‘Behemoth’ in den Kontext der internationalen NS- und Holocaust-Forschung und fragt u.a., weshalb die Neumann-Rezeption im Nachkriegsdeutschland so lange vernachlässigt wurde. Der Rezensionsessay von Hubertus Buchstein gibt weitere Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des Buches und zeigt, dass es immer noch lebhafte Polemiken auszulösen vermag. Um den ‘anderen’ Zugriff der angelsächsischen Debatte zu verdeutlichen, wird die Einführung zur englischen Neuausgabe von Peter Hayes nachgedruckt.
Franz L. Neumann (1900– 1954), als Student Teilnahme an der Novemberrevolution, danach Beitritt zur SPD, 1923 Dr. jur. in Frankfurt/M, 1925– 1927 Assistent von Hugo Sinzheimer an der Akademie für Arbeit, 1928–1933 Gewerkschaftsanwalt in Berlin und Syndikus der SPD, 1933 Flucht nach England, Dr. phil. an der London School of Economics, 1937–1942 Mitarbeiter am Institute of Social Research/ New York, 1942– 1946 Deutschlandexperte für die amerikanische Regierung, 1950–1954 Professor für Political Science an der Columbia University/New York.
Over de auteur
Alfons Söllner, geb. 1947, ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte und lehrte bis 2012 an der Technischen Universität Chemnitz. In der Europäischen Verlagsanstalt erschienen: Political Scholar (2018), ad Hannah Arendt (2021) und Das Jahrhundert der Flüchtlinge (2022).
Michael Wildt, geb. 1954, ist Professor für deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus und lehrte bis 2022 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte (2019); Zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918 bis 1945 (2022).
Hubertus Buchstein, geb. 1959, ist seit 1998 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald. Veröffentlichungen u. a.: Demokratie und Lotterie. Das Los als politisches Entscheidungsinstrument von der Antike bis zur EU (2009); Enduring Enmity. The Story of Otto Kirchheimer and Carl Schmitt (2023).
Peter Hayes, geb. 1946, ist US-amerikanischer Historiker, Professor für Neuere Europäische Geschichte und war bis 2016 Inhaber des Theodore-Zev-Weiss-Lehrstuhls für Holocaust-Studien an der Northwestern University Evanston/Chicago (USA). Veröffentlichungen u. a.: (mit E. Conze, N. Frei, M. Zimmermann) Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik (2010); Warum? Eine Geschichte des Holocaust (2017).