Seit der Klassik und Winckelmanns wirkmächtigen Studien zur Kunstgeschichte bilden die drei Topoi ‘Griechische Antike’, ‘Kunst’ und ‘Freiheit’ eine imaginäre Einheit, die geradezu divinatorische Züge annehmen konnte und ein Modell des klassisch inspirierten Kulturstaates zu begründen half. Im Umfeld des griechischen Freiheitskampfes verband sich dieses ästhetische Ideal mit einer virulent politischen Dimension: Der 1821 ausbrechende Aufstand gegen die Osmanen schürte die Hoffnung, ein neues und freies Griechenland als europäischen Modellstaat errichten zu können. Im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskurse gelegen, konnten die Ereignisse im Zeichen des Philhellenismus in gleicher Weise als Glaubenskrieg des Christentums gegen den Islam, als Aufbegehren eines unterdrückten Volkes gegen die Obrigkeit (und damit als Projektionsfläche demokratischer Wunschvorstellungen im bürgerlichen Vormärz) sowie als vermeintliche Renaissance eines antiken Idealzustands gesehen werden. Die Verbindung klassizistischer und romantischer Ideale initiierte ebenso wie der gezielte Einsatz unterschiedlicher Medien eine stände- und schichtenübergreifende Wirksamkeit und ermöglichte eine bislang ungekannte Massenmobilisierung, die in einer kaum überschaubaren Menge literarischer und künstlerischer Erzeugnisse ihren Niederschlag fand.
Der interdisziplinär angelegte Band mit Beiträgen aus Frankreich, Italien, den USA und Deutschland analysiert die Bedeutung des Philhellenismus für die Ausbildung eines ästhetisch-kulturellen Europagedankens und untersucht vergleichend seine Rezeptionsgeschichte in den europäischen Ländern.
Inhoudsopgave
Helmut Pfotenhauer: Freiheit 1821: historisch und ästhetisch (Jean Paul, E.T.A. Hoffmann); Elisabeth Décultot: Zu Winckelmanns kunstgeschichtlichem Modell. Die griechische Kunst zwischen Normativität und Historizität; Kerstin Schwedes: Polychromie als Herausforderung. Ästhetische Debatten zur Farbigkeit von Skulptur; Chrsitian Scholl: Klassizistische Norm und archäologische Freiheit: Karl Friedrich Schinkels ästhetischer Philhellenismus; Constanze Güthenke: Griechische Liebe. Philhellenismus und Kulturelle Intimität; Diego Saglia: Sad Relic: Byron and the (Un)Making of Romantic Greece; Valerio Funeri: Die deutschen Freiwilligen, Kämpfer des Schwertes für Griechenland 1821-1822; Ekaterini Kepetzis: Familienstrukturen als Sinnbild des griechischen Freiheitskampfes auf französischen Gemälden der Romantik; Chryssoula Kambas: Goethes Bild neugriechischer Kultur; Sandrine Maufroy: Die ‘Stimme des griechischen Volkes’: Sammlungen neugriechischer Volkslieder in Deutschland und Frankreich; Tzortzis Ikonomou: Niccolo Tommaseo und Griechenland; Arnoldo di Benedetto: Angelica Palli und der italienische Philhellenismus; Gilbert Heß: Adelbert von Chamissos Griechendichtungen; Albert Meier: Pückler-Muskau: Südöstlicher Bildersaal. Griechische Leiden (1840/41); Gabriella Catalano: Griechische Spuren in Stifters Nachsommer; Marie-Ange Maillet: Bemerkungen zu den philhellenischen Gedichten Ludwigs I. von Bayern und zu dessen Philhellenismus; Alain Schnapp: Fourmonts Reise und Mavrocordatos Rezeption an der Akademie des Inscriptions: ‘Le reve de la bibliotheque du grand Seigneur et les origines de la Grece’;
Over de auteur
Gilbert Heß, Georg-August-Universität Göttingen; Elena Agazzi, Università degli Studi di Bergamo, Italien; Elisabeth Décultot, Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), Paris, Frankreich.