„Ein Reh tauchte plötzlich von links auf, ganz dicht. Der Fahrer hatte noch sachte gebremst, es fehlten nur Zentimeter. Mit hundertzwanzig voll auf ein Tier dieser Größe. Amen.
Alles wäre weitergegangen ohne sie.
Und Willi wäre dran gewesen mit der Rede. Ungeschminkt, das war die Bedingung.
Trauergäste. Macht eure längsten Gesichter. Wo, zur Hölle, stand das nur wieder. Also, Leute. Dieser hier, Robert Gassen, Rohrschlosser von Natur, Kommunist mit stark anarchistischem Einschlag, Trunkenbold und Schürzenjäger, immer zwischen Held der Arbeit und Parteiverfahren – dieser, Trauergäste, starb unverdient früh.
Er hat gern gelebt, aus vollem Halse.
Es kotzte ihn an, und er liebte es.
Die Mathematik liebte er, einen Großbau beherrschte er. Fast alle Mittel waren ihm recht, wenn er einen Kessel baute und Termine hielt. Oder wenn er ein Weib wollte. Er hinterlässt einundzwanzig Dampferzeuger, den letzten unvollendet. – Er hasste die Heuchelei, die Selbstsüchtigen und die Bürokraten, die er reizen konnte bis zu Infarkt und Magengeschwür. Er empfing noch die Würde eines Oberingenieurs. Direktor für Produktion zu werden, lehnte er strikt und bis zum letzten Augenaufschlag ab; denn zu seinem Weltbild gehörte die Vorstellung, jeder solle genau den Platz in dieser Gesellschaft einnehmen, den auszufüllen er imstande sei. Er hinterlässt Mariechen, die noch nichts weiß und die wir nicht finden konnten. Vielleicht ahnt sie etwas. Denn sie war anders. Und auch er zu ihr. Und war schon geändert worden durch sie. Das fing eben an: das Hinausdenken über sich selbst und auf sie. – Sterben wollte er in Gummistiefeln. Gestorben ist er in den beigefarbenen Schuhen, den einzigen, die er besaß, und in dem billigen grauen Flanell, den er widerwillig anzog und nur selten oder wenn es Orden gab. Dieselben sehen Sie dort links, Trauergäste. Bis auf einen, der verlorenging. Und bis auf die, die ihm nicht verliehn wurden, obwohl er sie verdient hatte. Denn ein Held, Trauergäste, war er nie. Ein Held hat rund zu sein, wie wir wissen …“
Over de auteur
15. März 1925 in Breslau geboren. Bis 1943 Lehre als Bankkaufmann, Soldat von 1943 bis 1944, sowjetische Kriegsgefangenschaft.
1948 – 1949 Studium der Ästhetik und Philosophie in Moskau, danach Dramaturg und Verlagslektor, seit 1956 freischaffender Autor.
Wahl ins P.E.N.-Zentrum 1987.
Theodor-Fontane-Preis 1956 und 1961, Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste 1971, Vaterländischer Verdienstorden 1977, Nationalpreis der DDR 1978, Kunstpreis der Gewerkschaften 1975 und 1985.
Am 24. August 2003 in Ahrenshoop verstorben.