Die in der Erforschung und Interpretation antiker Texte lange aufrechterhaltene Trennung von Religion und Literatur in zwei nicht interdependente Sphären ist anachronistisch. Im Falle des griechischen Dramas, untrennbar gebunden an den athenischen Dionysoskult, hat sich die Erkenntnis einer strukturellen Prägung durch den Mythos und das Ritual zwar durchgesetzt, doch bleibt es ein Desiderat, das Interpretationsmodell auf andere Gattungen der griechischen Literatur (Epos, Lyrik, vorsokratisches Lehrgedicht, Geschichtsschreibung, platonischer Dialog, hellenistische Dichtung und Roman) sowie auf vorausgegangene und nachfolgende Schriftkulturen zu übertragen. Auf eine ihrem Schrifttum zugrundeliegende mythisch-rituelle Poetik befragt werden daher die frühen Zivilisationen des Vorderen Orients und Ägyptens ebenso wie die griechisch-römische Mittelmeerkultur unter Roms Vorherrschaft. Die Fragestellung wird zudem ausgeweitet auf Byzanz und die europäischen Tragiker der Moderne. Das zweibändige Werk umfasst die wesentlich erweiterten Beiträge zur Tagung Literatur und Religion: die Griechen, vorher, nachher und heute. Mythisch-rituelle Strukturen im Text (Castelen-Augst bei Basel, 16.-20.03.2005) und zwei zusätzliche Aufsätze. Zugleich bilden die beiden Volumina den Auftakt der neuen Basler altertumswissenschaftlichen Reihe Mythos Eikon Poiesis.
Spis treści
Anton Bierl: Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik. Überblicksartikel zu einem neuen Ansatz in der Klassischen Philologie; Gebhard Selz: Zu Ritual und Literatur in frühen mesopotamischen Texten; Antonio Loprieno: Das religiöse Zeichen und die Gefahr des Sakralen im ägyptischen Schrifttum; Jonas Grethlein: Epic Narrative and Ritual. The Case of the Funeral Games in Iliad 23 ; Claude Calame: Mythos, musische Leistung und Ritual am Beispiel der melischen Dichtung; Gregory Nagy: Did Sappho and Alcaeus ever meet? Symmetries of myth and ritual in performing the songs of ancient Lesbos; Glenn Most: Presocratic Philosophy and Traditional Greek Epic; Renate Schlesier: Der göttliche Sohn einer menschlichen Mutter. Aspekte des Dionysos in der antiken griechischen Tragödie; Rebecca Lämmle: Der eingeschlossene Dritte: Zur Funktion des Dionysos im Satyrspiel; Christoph Auffarth: Ritual, Performanz, Theater: Die Religion der Athener in Aristophanes’ Komödien; Susanne Gödde: Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos; Katharina Wesselmann: Mythische Erzählstruktur in Herodots Historien ; Eveline Krummen: Mythos und Ritual in der Philosophie Platons; Mary Depew: Springs, Nymphs, and Rivers: Models of Origination in Third-Century Alexandrian Poetry; Katharina Waldner: Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen ; Denis Feeney: On not forgetting the “Literatur” in “Literatur und Religion”: Representing the Mythic and the Divine in Roman Historiography; Anton Bierl: Prolegomena zum Thema Mythos und Ritual im griechischen Liebesroman. Phantastische literarische Konterdiskursivität im erotisch-onirischen Raum und die Initiation Jugendlicher; Panagiotis Roilos: Ekphrasis and Ritual Semantics: From the Ancient Greek Novel to the Late Medieval Greek Romance; Wolfgang Braungart: Mythos und Ritual, Leiden und Opfer. Ein strukturgeschichtlicher Versuch zur Tragödie
O autorze
Anton Bierl, Rebecca Lämmle und Katharina Wesselmann, Universität Basel, Schweiz.