Die Wirkungen des Pietismus als der wichtigsten Reformbewegung des deutschen Protestantismus, der im 17. und 18. Jahrhundert die Mehrheit der Bevölkerung erfasst hat, auf die deutschsprachige Literatur zwischen Sturm und Drang und Romantik sind in Umrissen erforscht und bekannt. Sie erklären grundlegende Unterschiede gegenüber den europäischen Nachbarkulturen, die spezifische Eigenart der deutschen Aufklärung, erste Anstöße zu konfessioneller Toleranz, auch gegenüber den Juden, Traditionen empfindsamer Innigkeit, Herzenssprache und inspirativ-ekstatischer Poetologie. Gegenüber den theologischen sind aber literaturwissenschaftliche Zugriffe auf das pietistische Schrifttum selbst, auf die pietistische Lyrik, die Lebenszeugnisse, Bibelübersetzungen, auf die pietistische Sondersprache und ihre Argumente, noch rar. Eine Auswahl einschlägiger Pilotstudien des auf diesem Feld mannigfach hervorgetretenen Genfer Germanisten aus den letzten 30 Jahren, von dreien seiner vormals Göttinger Schüler neu vorgelegt, soll dazu dienen, dieses Defizit zu verringern. Das Verhältnis zur Aufklärung wird neu vermessen, Gedichte so eigengeprägter Autoren wie Hoburg, Haug, Rock, Zinzendorf und Tersteegen lassen erkennen, dass stärkste literarische Anregungen vom radikalen Flügel des Pietismus und seinen hermetischen Traditionen ausgehen. Charakteristische Gattungen, Denkvorgaben und Sprachprägungen werden analysiert, christlich-jüdische und deutsch-amerikanische Interaktionen reflektiert, und der Blick wird gelenkt auf oft übersehene literaturgeschichtliche Zusammenhänge.
O autorze
Hans-Jürgen Schrader ist Prof. em. für deutsche Literatur an der Universität Genf und Mitglied der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus.