Martin Luthers 'Judenschriften’ haben in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts eine hochproblematische, aber bislang kaum erforschte Wirkungsgeschichte gehabt. Dieser Rezeptionsgeschichte widmet sich der vorliegende Band. Dabei steht nicht die eindimensionale Perspektivierung eines historischen Versagens Luthers im Vordergrund. Vielmehr wird die Rezeption im Kontext zeitgenössischer theologischer und historischer Bedingungen untersucht: Welche theologischen und politischen Motive bedingten die Rezeption von Luthers antijüdischen Schriften in der Lutherforschung des 19. Jahrhunderts? Welche Rolle spielten sie im lutherischen Konfessionalismus und in der jüdischen Wahrnehmung jener Zeit? Wie wurden sie in der Zwischenkriegszeit von der Bekennenden Kirche oder den 'Deutschen Christen’ zur Zeit des Nationalsozialismus politisch und theologisch instrumentalisiert? Vor diesem Hintergrund kommt die Bedeutung und Wirkung von Luthers Schriften für neuzeitliche theologische Diskurse und historische Entwicklungen, einschließlich Antisemitismus und NS-Zeit, zur Sprache. Die inhaltliche Aufarbeitung mit der Wirkungsgeschichte von Luthers 'Judenschriften’ ist nicht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs begrenzt, der Band beleuchtet zudem die Rezeption der 'Judenschriften’ im angloamerikanischen Raum und ihre ethische, kirchengeschichtliche und kirchenpolitische Aufarbeitung im Protestantismus seit 1945.
O autorze
Prof. Dr. Christian Wiese ist Inhaber der Martin-Buber-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie seit 2021 Direktor des Buber-Rosenzweig-Instituts für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und Gegenwart und seit 2022 Co-Direktor des Frankfurt–Tel Aviv Center for the Study of Religious and Interreligious Dynamics.