«?e venatione sapientae« ist das philosophische Testament des Nikolaus von Kues (1401–1464). Hier zitiert er seine wichtigsten philosophischen Schriften und weist ihnen ihren Platz in seinem Lebenswerk zu.
«?e venatione sapientiae« (entstanden 1463) nimmt unter den Werken des Cusanus (1401-1464) eine Sonderstellung ein, ist sie doch, ein Jahr vor seinem Tod verfasst, so etwas wie sein philosophisches Testament. Das Werk nimmt seinen Ausgang von Diogenes Laertius’ Lebensbeschreibungen der griechischen Philosophen, die Nikolaus beim Abfassen der venatio als Abschrift vor sich hatte – dies ist durch dortige Randbemerkungen belegt, die in die venatio eingegangen sind. Diese Randbemerkungen zeigen, unter welchem Gesichtspunkt Nikolaus die Geschichte der Philosophie betrachtete: Sie ist für ihn die Geschichte menschlichen Ringens um Erkenntnis, und Erkenntnis ist für ihn in erster Linie Gotteserkenntnis.
Nikolaus beschreibt drei Regionen und in ihnen zehn Felder (campi), in denen die philosophischen Jäger ihre Beute finden können. Einige dieser zehn Felder erinnern unmittelbar an Cusanusschriften, andere indirekt: »Das erste Feld nenne ich die belehrte Unwissenheit, das zweite das Können-Ist, das dritte das Nicht-Andere, das vierte das Feld des Lichtes, das fünfte das des Lobes, das sechste das Feld der Einheit, das siebte das der Gleichheit, das achte das Feld der Verknüpfung, das neunte das der Grenze, das zehnte das Feld der Ordnung«.
In den erwähnten drei Regionen wird die gesuchte Weisheit unterschiedlich angetroffen, in der ersten, wie sie in ewiger Weise ist, und als solche entzieht sie sich jeder menschlichen Erkenntnis und kann nicht adäquat benannt werden. In der zweiten Region wird die Weisheit in immerwährender Ähnlichkeit gefunden, und hier gibt es größtmögliche Annäherung an die Wahrheit als beständige Ähnlichkeit mit der ewigen Weisheit. In der dritten Region »leuchtet die Weisheit im zeitlichen Fluß der Ähnlichkeit von weitem auf«; die zeitliche Ähnlichkeit des intelligiblen Wahren (verum) ist 'verisimile’, dem Wahren ähnlich. Die Kenntnisse der »Jagdzüge« antiker Philosophen nach Weisheit ordnet er nun in die Übersicht über das eigene Bemühen ein. Er zitiert die wichtigsten seiner philosophischen Schriften, weist ihnen ihren Platz in seinem Lebenswerk zu und geht ein weiteres Mal auf die »Jagd nach Weisheit«.
O autorze
Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) kommt 1401 im heutigen Bernkastel-Kues zur Welt. Nach kurzem Studium der freien Künste in Heidelberg widmet er sich an der Universität Padua dem Kirchenrecht. Nach der Priesterweihe um 1440 wird Nikolaus 1448 zum Kardinal ernannt.
1433 verfaßt Nikolaus auf dem Basler Konzil seine erste grundlegende Schrift De concordantia catholica, in der er als Jurist und Theologe eine neue Ekklesiologie, eine allgemeine Konzils- und Staatstheorie sowie eine darauf aufbauende Reichsreform entwirft.
Die erste von Nikolaus zur Veröffentlichung bestimmte philosophisch-theologische Schrift De docta ignorantia ist grundlegend für das Verständnis seines Denkens. Hier entwickelt er seinen berühmt gewordenen Begriff der „coincidentia oppositorum“ der theologisch von der Suche nach Gott und philosophisch von der Jagd nach Weisheit geleitet ist. Mit der Einsicht in das Nichtwissen des Wissens distanziert sich Nikolaus von der ontologisch bedingten Erkenntnismetaphysik der Hochscholastik, um ein neuzeitliches Wahrheitsverständnis zu begründen. Nikolaus von Kues verbringt die letzten sechs Jahre seines Lebens am Hofe des Papstes in Rom und stirbt 1464.