Hugo von Hofmannsthals 'Rosenkavalier’ wurde 1911 in Dresden uraufgeführt. Freuds Hauptwerk, 'Die Traumdeutung’, erschien 1900 in Wien. Hofmannsthal gibt vor, eine Tradition fortzusetzen, die er in Wirklichkeit auf den Kopf gestellt hat und hinter sich lässt. Es ist die Tradition eines hochzivilisierten Europa, die zwar dekadent geworden war, aber in Hofmannsthals Kreisen war auch die Dekadenz modisch und willkommen. Das 18. Jahrhundert, das er sich erträumte, war eine Übergangszeit. Doch war sich Hofmannsthal wohl bewusst, dass historische Fiktionen keine Rekonstruktionen, sondern Interpretationen sind und sein müssen. In seinem 'Ungeschriebenen Nachwort zum ›Rosenkavalier‹’ heißt es: 'Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt …’ Dieser letzte Nebensatz könnte auch ein Leitsatz der zu seiner Zeit neuen Wiener Wissenschaft, der Psychoanalyse, sein …
O autorze
Ruth Klüger, 1931 in Wien geboren, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, von dort nach Auschwitz und in weitere Lager. 1945 Ausbruch aus dem Lager, 1947 Emigration in die USA. 1965–1995 Hochschullehrerin für deutsche Sprache und Literatur in Cleveland, Kansas, Virginia, Princeton und Irvine. 1992 erschien ihr vielfach preisgekröntes Buch 'weiter leben – Eine Jugend’. Zahlreiche Publikationen zur deutschen Literatur. Im Picus Verlag erschienen in der Reihe Wiener Vorlesungen 'Freuds Ödipus im androgynen Rosenkavalier’, 'Dichter und Historiker: Fakten und Fiktionen’, '›Ein alter Mann ist stets ein König Lear‹. Alte Menschen in der Dichtung’ und 'Schnitzlers Damen, Weiber, Mädeln, Frauen’. Ruth Klüger verstarb im Oktober 2020.