Wie schreibt man Geschichte? Welche Möglichkeiten gibt es, sich mit Geschichte zu beschäftigen, sie darzustellen und an andere zu vermitteln? Das gemeinsame Interesse, diese Fragen aus der Perspektive des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit zu beantworten, hat eine internationale Forschergruppe zusammengeführt. Dabei eint sie sowohl die Einsicht, dass Historiografie in dieser Epoche im pluralistischen Sinne zu begreifen ist, als auch der Wunsch, diese Vielfalt in einem praxisnahen Lehrbuch anhand von Quellentexten und Kommentaren nach dem neuesten Stand der Forschung zu vermitteln. Die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichtsschreibung ist ein zentrales Experimentierfeld der Historiografie, in das die hier ausgewählten und präsentierten Beispiele Einblicke vermitteln. Die damit angebotene Neustrukturierung des historiografischen Feldes geht weit über das hinaus, was die Historiografiegeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts herausgestellt hat, und erweitert den Horizont über die Konstrukte moderner Geschichtswissenschaft hinaus erheblich. Eine zusammenfassende Synthese dieses bislang vernachlässigten Forschungsfeldes steht jedoch bislang aus und stellt ein wichtiges Desiderat der Historiografiegeschichtsforschung dar. Das Quellenhandbuch richtet sich an ein interdisziplinäres, universitäres Publikum: das heißt zum einen an fortgeschrittene Studierende und Promovierende und andererseits an Lehrende für die Verwendung im Unterricht oder an Forscher/innen, die sich über die neueren Tendenzen auf dem Gebiet der Historiografiegeschichte informieren wollen. Der Einsatz des Handbuchs bietet sich vor allem für neue Masterstudiengänge mit historischem oder kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt an (Geschichte des Spätmittelalters, der Renaissance, der Frühen Neuzeit, Kultur-, Literatur-, Kirchen-, Wissensgeschichte etc.), weil damit Grundlagenwissen der Historiografiegeschichte quellennah und auf dem neuesten Stand der Forschung vermittelt werden kann.
Spis treści
1. Orte 1.1 Orte des Glaubens 1.1.1 Geschichte als Spiegel gottgewollter Ordnung – Johann Bischoffs Rückgriff auf traditionelle historiographische Gestaltungsmuster in seiner Bamberger Bistumsgeschichte 1.1.2 'Juvavium, Ruperte, tui nunc surgit amore’. Das Programm der erzbischöflichen Ehrenpforte bei der Salzburger Domweihe 1628 1.2 Orte der Macht 1.2.1 Orte der Repräsentation und Macht bei Philippe de Commynes 1.2.2 Hofhistoriografie: Ernennung Marquard Herrgotts OSB zum kaiserlichen Rat und Historiografen 1736 1.3 Orte des Rechts 1.3.1 Die Relation – Der Lüneburger Erbfolgekrieg in der Darstellung Nikolaus Florekes 1.3.2 Edward Cokes’ Prohibitions del Roy (1698/1656): Die Macht des Rechts als historiographischer Mythos 1.4 Orte der Instruktion 1.4.1 Diffusion historischen Wissens im Geschichtsunterricht der Frühen Neuzeit 1.5 Orte der Exklusivität 1.5.1 Historiographie zwischen Privatheit und Geheimnis -das Familienbuch des Werner Overstolz 1.5.2 Familiengeschichte – das 'Pichl meinen Khindtern zu einer Gedechtnus’ der Maria Elisabeth Stampfer 1.6 Zwischen Aneignung und Distanzierung: Voraussetzungen und Funktionen von ‚Fremdheit‘ bei humanistischen Geschichtsschreibern 2. Prozesse 2.1 Erfahren und Initiieren 2.1.1 'Blutvergiessen, Zerstörung und ungezügelter Hass – Wie ein Krieg einen Beamten zur Historiographie brachte’ 2.1.2 'Gott danckbar sein/ vnd die wolthat […] aller meniglich/offenbaren.’ Eine 'Warhaftig[e] Historia’ unterwegs vom brasilianischen Ubatuba (1554) zu einer Marburger Druckerpresse (1557) 2.2 Sammeln und Ordnen 2.2.1 Zwei Briefe an die Bollandisten 2. 2. 2 Historische Irrtümer zwischen Korrespondenz und Kollektaneen. Ein Brief von Candidus Klitsch (Bamberg) für Bernhard Pez (Melk) und ein Auszug aus Pez’ Kollektaneen zu seiner Bibliotheca Benedictina 2.3 Schreiben und Redigieren 2.3.1 Vom persönlichen Memorandum zum kommerziellen Produkt: Das Buch von Kaiser Sigmund des Eberhard Windeck und die Werkstatt des Diebold Lauber 2.3.2 Der Autor und die Drucklegung seines Werkes. Paolo Giovio in seinen Briefen über die Historiae sui temporis 2.3.3 Grundsätze und Planungsstufen der Illustration der Würzburger Bischofschronik des Lorenz Fries von 1546 2.4 Veröffentlichen und Verbreiten 2.4.1 Flugblatt 'Vrsprung des Bömischen Lands vnd Königreichs’, Augsburg 1619, Druck: Daniel Mannasser. Ein illustrierter Einblattdruck zur Kaiserwahl in Frankfurt 1619 als Medium kurzgefasster Landesgeschichte in Reimform für jedermann 2.4.2 Geschichte als Spiel – zur Didaktik des Geschichtsunterrichts um 1700 2.5. Rezipieren und Tradieren 2.5.1 Geschichtsfälschung, Überlieferung historischen Wissens und Antikenrezeption – die Antiquitates des Annius von Viterbo 2.5.2 Das Erbe tradieren, die Gegenwart rezipieren. Erinnerungstendenzen der Familiengeschichte der Nürnberger Tucher in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 2.5.3 Sammeln und Erzählen. Eine ärztliche Medaillensammlung 2.6. Bewahren und Zerstören 2.6.1 Wieviel Geschichte ist erlaubt? Frühmoderne Zensur aus römischer Perspektive 2.6.2 Orte, Namen und Kleinodien. Erinnerungsmedien in der Flersheimer Chronik 3. Erzählungen 3.1 Zeit und Epoche 3.1.1 Die alten Regeln der heilsgeschichtlichen Zeiteinteilung gelten fort – Der ‚Liber de temporibus’ des Matteo Palmieri und seine Fortsetzung im 16. Jahrhundert 3.2 Personen und Gruppen 3. 2. 1 Katholische Geistliche und die historische Begründung ihrer Sukzession. Aus einer programmatischen Vorrede des Jesuiten Jacob Gretser zu einem Bischofskatalog (1617) 3.2.2 Urgeschichte als Identitätsmodell: Albert Krantz’ Wandalia 3.3 Raum 3.3.1. Historisch-topographische Erfassung des Raumes – Chorographien in den Niederlanden und in England im 17. Jahrhundert 3.3.2 Geschichten von der Stadt, dem Land und dem Universum: die Räume der Stadtchroniken und Stadtgeschichten seit dem späten Mittelalter 3.3.3 Kartographie und Chronistik. Jos Murers Karte des Zürcher Herrschaftsgebiets von 1566 3.4 Ereignisse 3.4.1 Das erste Ereignis einer Geschichte: Die Bedeutung der angeblichen römischen Gründung Nürnbergs in der Stadtchronik des Sigmund Meisterlin 3.4.2 Luthers Thesenanschlag von 1516 (!) und seine prophetische Legitimation. Georg Mylius’ Gedenkpredigt von 1592 3.4.3 Lektüren im Buch der Natur. Wahrnehmung, Beschreibung und Deutung von Naturkatastrophen 3.5 Geschichte: Rhetorik als Wissensordnung für Historie 3.5.1 Johann Adam Webers Darstellung von 'Geschichte’ – Geschichte in der Enzyklopädie 3.5.2 Zwischen reflektierter Norm und Selbstverständlichkeit: die rhetorische Ordnung der Historien