Eingereiht zwischen den »großen Geistern« Europas, Henrik Ibsen und August Strindberg, stand für Thomas Mann der russische Nationalschriftsteller Leo Tolstoi, den er hier zu dessen 80. Geburtstag würdigt. Der Artikel erschien am Tag davor, am 8. September 1908, im Morgenblatt der Tageszeitung Die Zeit (Wien). Tolstoi dient Mann als vollkommenes Beispiel, um seinen Begriff zweier gegensätzlicher literarischer Konzepte zu erläutern: der naiv-naturhaften Kunst auf der einen Seite, auch »Plastik«, und der mit »Kritik« bezeichneten, kontrollierteren und reflektierteren Kunst auf der anderen Seite. Welche Bewunderung Thomas Mann für die durch Tolstoi vertretene russischen Literatur hegte (die er der ersten Kategorie zurechnete), wird auch an anderen Stellen offenbar, beispielsweise in der Novelle ›Tonio Kröger‹, wo der Protagonist sie als »heilige Literatur« bezeichnet.
O autorze
Thomas Mann, 1875–1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb.