Die Entwicklungsgeschichte der gewerbsmäßig betriebenen Leihbüchereien spiegelt einen Wandel in der Buchrezeption und -produktion wider. Mit der privat organisierten und nicht auf Gewinn ausgerichteten Lesegesellschaft hatten sich die gebildeten Teile des Bürgertums, die von alters her den Kern der Lesewelt des höheren und im beständigen Wandel begriffenen Büchermarkts ausgemacht hatten, eine Institution geschaffen, in der sie ihre Bedürfnisse nach intensiver Lektüre ausleben konnten. Die Entstehung der Leihbücherei vom hier untersuchten Typus stand von vornherein unter dem Zeichen eines kommerziellen Gewinnstrebens. Der Boden hierfür war fruchtbar: Zum einen war durch die allmählich voranschreitende Schulbildung die Fähigkeit zur Literaturrezeption nicht länger einem kleinen priviligierten Teil der Bevölkerung vorbehalten, zum anderen entwickelte sich im 18. Jahrhundert der Roman zum eigentlichen Träger der Unterhaltungsliteratur.
Die um die Wende zum 19. Jahrhundert vielfach geführten Klagen über die umsichgreifende Lesewut bezogen sich denn zumeist auch auf die Romanlektüre. Diese Literaturgattung machte den Hauptbestand einer jeden kommerziell betriebenen Leihbibliothek aus.
Goldfriedrich zählt die von dem Exilfranzosen Jean du Sarrat 1704 in Berlin gegründete Leihbücherei zu einer der ersten in Deutschland.
Fehlendes statistisches Material lässt eine genaue Beschreibung der Ausbreitung von Leihbüchereien bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht zu. Ab 1750 verbreiteten sich Leihbibliotheken im gesamten deutschsprachigen Raum. In der Blütezeit des Leihbüchereiwesens (1800-1850) fanden sich solche Betriebe auch in den kleinsten Ortschaften.
Neben der nicht zu unterschätzenden emanzipatorischen Bedeutung, die der Leihbibliothek zukam, indem sie im wortwörtlichen Sinne eine Tür zum Literaturgenuss auch für diejenigen öffnete, denen sie aus materiellen Gründen bislang verschlossen gewesen war, darf nicht übersehen werden, dass die kommerziell betriebene Leihbücherei dazu beitrug, das Buch zur Ware im eigentlichen Sinne verflachen zu lassen.
Tabela de Conteúdo
INHALT
1. Anregung, Vorgehensweise und Quellenlage
2. Skizzierung der Leihbibliotheksentwicklung in Deutschland
3. Sozialstatistische Angaben zu Wolfenbüttel im 19. Jahrhundert
3.1. Bevölkerungsentwicklung in Wolfenbüttel von 1831 bis 1871
3.2. Übersicht über die Beschäftigungsarten der Wolfenbütteler Bevölkerung im Jahre 1871
3.3. Die Auswertung der Wolfenbütteler ‘Communal-Steuer-Rollen’
3.4. Wolfenbütteler Gewerbesteuertarife im Jahre 1837
3.5. Analphabetentum in Wolfenbüttel im Jahre 1871
4. Entwicklung des Buch- und Leihbuchhandels in Wolfenbüttel von 1788 bis 1873
4.1. 1788-1837: Meisner, Albrecht, Eichhorn, Hartmann
4.2. 1837-1844: Auguste und Ludwig Holle
4.3. Exkurs: Auswertung der literarischen Anzeigen in der ‘Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer, besonders für den Deutschen Landmann’
4.4. 1851-1873: Diedrich, Stichtenoth, Engelhardt
4.5. Einschätzung
5. Nähere Beschreibung des Leihbuchhandels in Wolfenbüttel
5.1. Standorte
5.2. Verleihsystem
5.3. Einkommen
5.4. Umfang des Buchbestandes
5.5. Höhe der jährlichen Neuanschaffungen
5.6. Anzahl der Buchentleiher
5.7. Rezeption
6. Beschreibung des Restbuchbestandes
6.1. Äußere Beschreibung
6.1.1. Druckorte
6.1.2. Gattungen
6.1.3. Buchtitel
6.1.4. Anteil an Übersetzungen ausländischer Autoren
6.2. Innere Beschreibung
6.2.1. Ausländische Autoren
6.2.2. Deutsche Autoren
6.2.2.1. Ritter-, Räuber- und Gespensterromane
6.2.2.2. Sentimentale Familienromane
6.2.2.3. Romantische Geschichtsromane
6.2.2.4. Vorgeblich authentische Geschichtsromane
6.2.2.5. Reise- und Abenteuerromane
6.2.2.6. Anfänge des Kriminalromans
6.2.2.7. Dorf- und Gesellschaftsromane
6.2.2.8. Politische Romane
6.2.2.9. Lokale Romane
7. Verbleib der Bücher nach Auflösung der Diedrichschen Leihbibliothek
7.1. Übernahme durch die Herzog August Bibliothek
7.2. Übernahme durch den Bürgerverein
7.3. Übernahme durch den Gewerbeverein
Quellen und Literaturverzeichnis
Auszug aus der Unterschriftensammlung, die Ludwig Holle seinem Gesuch vom Januar 1840 als Anlage B hinzufügte Übersicht der nach Erscheinungsdaten aufgelisteten Bände, die zur Rezeptionsanalyse ausgewählt wurden
Die Rezeption französischsprachiger Literatur Übersicht über die Druckorte, aus denen die noch erhaltenen Titel des Leihbibliothekrestbestandes stammen