Unter dem Datum des 2. Januar vermerkt das Tagebuch eine traurige Nachricht: Die 1. Post des neuen Jahres: verspätete Weihnachts- und Neujahrsgrüße, ein Kontoauszug und ein amtliches Schreiben, in dem mir nicht mehr und nicht weniger mitgeteilt wird, als dass bis Jahresende die Nutzungsrechte an meinem Garten erlöschen. Bis dahin könne ich noch säen und ernten nach Herzenslust. Aber dann … Das Grundstück sei zum Baugelände erklärt worden. Für das Gartenhäuschen könne ich keine Entschädigung erwarten, es befände sich ohnehin in Treuhandverwaltung, und ich habe es nur zur Nutzung erhalten. Ebenso verhalte es sich mit den Obstbäumen.
Der Titel dieser tagebuchartigen Aufzeichnungen leitet sich von einer farbigen Reproduktion ab:
Die Darstellung des Paradiesgärtleins war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verbreitet, besonders in Deutschland. Man gab dem Thema auch noch andere zärtliche Namen: Maria in der Rosenlaube, Maria im Rosenhag. Solche anrührenden Bilder entstanden in einer Zeit besonderer Verfeinerung, während einer kulturellen Hochblüte. In der Kunstgeschichte prägte man für diesen Zeitabschnitt den Begriff des Weichen Stils, der Schönen Madonnen.
Das Bild lebt noch aus der Mystik des 14. Jahrhunderts, aus dem Bewusstsein, dass sich Gott und Mensch in Liebe und Einssein begegnen, dass der Mensch ganz in Gott aufgeht und das Paradies zum Geschenk erhält. Solch mystischer Höhenflug ist hier freilich herabgemildert zum religiösen Idyll.
PARADIESGÄRTLEIN – es präsentiert mystische Bilder, die man aus den Visionen der Propheten entwickelt hatte, Sinnbilder und Vorbilder Mariens. Der verschlossene Garten, die versiegelte Quelle.
PARADIESGÄRTLEIN – eine Utopie, eine Illusion und doch unausrottbar. Nimmt man dem Menschen diese Illusion, raubt man ihm ein Stück Herz.
Für die Autorin bedeutet dieses Bild jedoch mehr als der Gegenstand einer kunstwissenschaftlichen Betrachtung. Es verbindet sich mit Sehnsucht auch im Alltag, mit der Fahndung nach sich selbst, mit Freude und Kreativität – eine lebenslange Haltung.
Dazu passt die Tagebuchnotiz vom 2. Februar:
Ich werde trotz allem den Garten noch einmal umgraben. Es wäre schade um Kartoffeln und Gemüse, auch um die Erdbeeren. In diesem Jahr könnte ich ja noch einmal ernten. Und trotz allem: ich werde eine Reise nach Ungarn planen. Immer unterwegs, niemals fertig, niemals ein Abschluss. Immer ein Kampf zwischen Idyll und Realität, Träumen und Abmachungen, zwischen der großen Welt und meinem kleinen Leben.
About the author
Renate Krüger
Geboren 1934 in Spremberg/Niederlausitz. Seit 1939 in Schwerin ansässig.
Studium der Kunstgeschichte und klassischen Archäologie in Rostock.
Tätigkeit am Staatlichen Museum Schwerin. 1965 Verlust des Arbeitsplatzes aus politischen Gründen, seither freiberuflich als Publizistin und Schriftstellerin tätig:
Sachbücher (Die Kunst der Synagoge 1966, Das Zeitalter der Empfindsamkeit 1972, Biedermeier 1979, Spurensuche in Mecklenburg 1999, Aufbruch aus Mecklenburg. Die Welt der Gertrud von le Fort, 2000),
Belletristik (Licht auf dunklem Grund, Rembrandt-Roman, 1967, Der Tanz von Avignon, Holbein-Roman 1969, Saat und Ernte des Joseph Fabisiak, 1969, Nürnberger Tand 1974, Malt, Hände, malt, Cranach-Roman 1975, Jenseits von Ninive, 1975, Aus Morgen und Abend der Tag, Runge-Roman, 1977, Wolfgang Amadés Erben, 1979, Türme am Horizont, Notke-Roman 1982, Die stumme Braut, 2001, Paradiesgärtlein, 2008),
Jugendbücher (Geisterstunde in Sanssouci, Menzel-Erzählung 1980, Das Männleinlaufen, Alt-Nürnberger Geschichte 1983, Des Königs Musikant, Erzählung über Carl Philipp Emanuel Bach 1985).
Nach 1989 Mitarbeit am Aufbau der parlamentarischen Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern, Archivarbeiten.