Bereits die postkolonialen Theorien der vergangenen Jahrzehnte haben das Konzept der Identität einer grundlegenden Kritik unterzogen. In ihrem Zentrum stand der Begriff der Differenz, der jedoch in vielfältiger Weise den kolonialen Denkformen verhaftet bleibt. Denn wo Alterität und Hybridität betont werden, verändern sich zwar die Gewichtungen, die leitenden Gegensätze bleiben aber erhalten. Die Kategorie der ‘Ähnlichkeit’ eröffnet hier eine Alternative.Ziel des Bandes ist es, die Kategorie der ‘Ähnlichkeit’ historisch wie systematisch auf ihre theoretische Reichweite hin zu überprüfen. ‘Ähnlichkeit’ ist nicht nur ein heuristisches Konzept, sondern dient auch als Argument und Verhaltensoption auf der Ebene kultureller Praktiken. Deswegen stand der Begriff über längere Zeit in Misskredit. Er wurde verdächtigt, Vorstellungen der Assimilation und damit einer unter Zwang vorgenommenen Angleichung von Kulturen, Geschlechtern oder religiösen Überzeugungen zuzuarbeiten. Zudem verlegte man das Ähnlichkeitsdenken stets an einen anderen Ort und in eine andere Zeit, schrieb es primitiven Kulturstufen oder vormodernen Epochen und damit einer anderen ‘Ordnung der Dinge’ (Foucault) zu, um es von einer rationalistischen Moderne abzugrenzen, die nur exakte Begriffe als gültig anerkennt. Ein Denken in Ähnlichkeiten widerspricht in der Tat dem Wunsch nach präziser Grenzziehung und genauer Definition. Diesen scheinbaren Mangel gilt es jedoch theoretisch fruchtbar zu machen. Kulturtheoretische Konzepte haben sich an den Phänomenen zu orientieren, die sie beschreiben. Kulturelle Gegebenheiten eignen sich kaum für scharfe definitorische Abgrenzungen, sondern sind durch fließende Übergänge, vielfache Überlagerungen und breite Grenzsäume gekennzeichnet. Die spezifische epistemologische Leistungsfähigkeit der Kategorie ‘Ähnlichkeit’ besteht gerade darin, den Umgang sozialer Akteure mit vagen Verhältnissen, diffusen Dynamiken und unscharfen Relationen in den Blick zu bekommen.Mit Beiträgen u. a. von Aleida Assmann, Jan Assmann, Rüdiger Görner, Ulrike Kistner, Albrecht Koschorke, Thomas Kirsch, Andreas Langenohl, Jürgen Osterhammel, Klaus Sachs-Hombach, Rudolf Schlögl.
Despre autor
Anil Bhatti ist emeritierter Professor des Zentrums für Germanistik der Jawaharlal Nehru University, New Delhi. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, der Komparatistik und Literaturtheorie sowie in den vergleichenden kulturwissenschaftlichen Studien zwischen Europa und Indien.Dorothee Kimmich ist Professorin für literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaft und Kulturtheorie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Bei KUP erschienen ‘Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne’ (2017) und ‘Lebendige Dinge in der Moderne’ (2011).