Betrachtet man die Wiener Operette nicht nur aus einer musikalischen oder literarischen Perspektive, sondern versucht man sie als eines der populärsten Unterhaltungsgenres der Jahrzehnte um 1900 zu begreifen, erschließen sich aus einer solchen Sichtweise ganz neue Aspekte. Die Operette erweist sich als ein Medium, das die kulturelle Vielfalt der zentraleuropäischen Region musikalisch zum Erklingen bringt und transnationale Verflechtungen sichtbar zu machen vermag. Ihre Analyse mündet daher unmittelbar in Reflexionen über die Pluralität der Region und ganz allgemein über die Relevanz von sozialkulturellen Unterschieden und Differenzen. Die historische Kontextualisierung erweist die Wiener Operette nicht nur als ein Spiegelbild der konkreten sozialen, kulturellen und politischen Verfasstheit einer längst vergangenen Zeit, sondern
darüber hinaus auch unserer eigenen, komplexen Gegenwart.
Cuprins
Vorwort
Einleitung
I. Die Wiener Operette – ein Symptom des Wertvakuums?
Operettengeschichte
Ein minderwertiges Kunstprodukt?
Vorbehalte gegenüber Unterhaltungsmusik
Sprachrohr für Mentalitäten
‘Ernstgenommene Sinnlosigkeit’?
‘Ein zur puren Idiotie verf lachter Abklatsch’?
II. Operette und bürgerliche Gesellschaft
Operette als das Unterhaltungstheater
Rekontextualisierung der Operette
Operette und urbane Bevölkerung
‘Glücklich ist, wer vergisst’
III. Operette – Spiegelbild von Gesellschaft und Politik
Sozialer Ursprung eines Genres
Beseitigung gesellschaftlicher Schranken
Sozial- und Politikkritik
Operette und staatliche Zensur
Kritik am ‘Vaterland’ und Nationalismus
Die verschlüsselte Sprache der ‘Lustigen Witwe’
Verfremdung der Politikkritik
Verborgene Facetten des ‘Zigeunerbaron’
Ein realistisches Bild der ‘Zigeuner’?
Ort des kulturellen Gedächtnisses
IV. Wiener Operette und Ironie
Ironie als psychisches Ventil
Sigmund Freud und der Witz
Jüdischer Witz
Travestie – eine österreichische Tradition
Identitätsstiftende Funktion des Witzes
Obszöner und zynischer Witz
V. Wiener Operette und Moderne
Populäres Vehikel der Moderne?
Moderne und sexuelle Freiheit
Fragmentiertheit und Nervosität
Moderne und Differenziertheit der Gesellschaft
Moderne und national-kulturelle Heterogenität
‘Wiener Moderne’
Operette und Jung Wien
‘Sei modern!’
‘Stille Häuslichkeit’ – ein Gegenbild der Moderne
Relevanz der Operette im Fin de Siècle
Franz Kafka und die Operette
VI. Die Heterogenität der zentraleuropäischen Region
‘Give and take of melodies …’
Zitatenreichtum in der Musik
Juden in der Monarchie und in Wien
Antisemitismus – Ausgrenzung des Fremden
Widersprüchliche Kohärenz einer Region
Politische und sprachlich-kulturelle Pluralität
Verwaltung und Pluralität
Österreichisch und/oder deutsch
Pluralität und Loyalitäten
Vielfältige Lebenswelt
Heterogenität und Identitäten
Pluralität und nationale Idee
Das Wesen Österreichs ist Peripherie?
VII. Pluralität – Kultur – Geschichte
Relevanz regionaler Pluralität
Kulturelles Umfeld einer österreichischen Geschichte
Rechtfertigung durch Historizität
Reduktionistisches Geschichtsbild
Totalistisches Geschichtsbild
Kultur – ein komplexes System
Vergangenheit als ‘Text’
Theorie einer österreichischen Geschichte
VIII. Operettenwerkstatt in der Wiener Moderne
Spiegelbild des komplexen Systems
Vagabundierende Militärkapellmeister
Langeweile
Viele Autoren
‘Auf-Zuruf-Instrumentieren’
Reaktion auf die Beschleunigung
IX. Ausklang
Instrumentalisierung der Operette
Neue Operetten
Traurige Operetten?
Operette und kulturelle Identität
Bibliographie
Personenverzeichnis
Despre autor
Moritz Csáky, emer. o. Univ. Prof., Historiker und Kulturwissenschaftler. Mitglied der Österreichischen und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Zahlreiche Publikationen, zuletzt u. a. ‘Das Gedächtnis Zentraleuropas. Kulturelle und literarische Projektionen auf eine Region’ (2019).