‘Die Historiker verurteilen sich paradoxerweise selbst zum Anachronismus, da sie von den Konzepten, die sie benutzen, um sich mit Gesellschaften der Vergangenheit auseinander zu setzen und die selbst Produkte historischer Konstruktion sind, einen antihistorischen oder enthistorisierten Gebrauch machen: die Geschichte selbst, auf die sie diese Konzepte anwenden, hat sie konstruiert., erfunden, erschaffen, und das sehr oft um den Preis immenser historischer Arbeit.’; Text5/gens á histoire…
Pierre Bourdieu, der Soziologe, interessierte sich Zeit seines Lebens für die historische Genese von Gesellschaft und ihren Institutionen. Über die Möglichkeiten der Anwendung soziologischer Theoriebildung und Methodik auf historische Thematiken hinaus zeigte er – in Kooperation mit Historikern – grundlegende theoretische und methodische Schwierigkeiten dieses Vorgehens auf: Probleme, die sich sowohl aus der Verschiedenheit der Forschungsgegenstände als auch aus den (historisch generierten) unterschiedlichen Interessenlagen von Forschern aus verschiedenen Nationen und Fachrichtungen ergeben und zu halb- oder unbewussten Verzerrungen wissenschaftlicher Ergebnisse bis hin zur Konstruktion politisch legitimativer Anachronismen, Teleologien oder Tautologien führen können.
Der vorliegende Band fasst erstmals Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zum Verhältnis von Soziologie und Geschichtswissenschaft zusammen. Interdisziplinarität ist hier kein Modewort, sondern ein differenziertes und mehrschichtiges epistemologisches Konzept der Objektivierung von Forschungsgegenständen und -themen, der Interessenlagen der sie bearbeitenden Wissenschaftler und letztlich der spezifischen Struktur verschiedener nationaler wissenschaftlicher Felder und der gesellschaftlichen Interessen, die deren Dynamik bedingen.
Despre autor
Pierre Bourdieu (1930-2002) war Professor für Soziologie am Collège de France in Paris; seine wichtigsten Arbeiten: Die feinen Unterschiede, Frankfurt/Main 1982, Homo academicus, Frankfurt/Main 1988, Noblesse d’état, Paris 1989, Les règles de l’art, Paris 1992, Das Elend der Welt, Konstanz 1997, Gegenfeuer, Konstanz 1998.