Georg Simmel nimmt in Bezug auf die Wissenssoziologie den Status eines »Wegbereiters« ein. Er formulierte soziologische, erkenntnistheoretische und kulturphilosophische Problemstellungen, die (posthum) in die sich formierende Wissenssoziologie hineinwirkten.
Die wissenssoziologischen Pionierleistungen Simmels sind vielfältig. So stehen im Zentrum seiner relationistischen Sozialtheorie die Wechselwirkungen zwischen den Individuen und der dynamische Vergesellschaftungsprozess. Weiterhin insistiert Simmel darauf, dass Soziologinnen und Soziologen auf eine bereits von den Menschen selbst gedeutete soziale Welt stoßen. Seine diesbezüglichen Überlegungen zu den soziologischen Apriori stellen einen Versuch dar, die kantianistische Epistemologie sozialkonstruktivistisch umzuformulieren.
Jenseits dieser eher grundlagentheoretischen Innovationen finden sich in Simmels unzähligen Essays dichte Beschreibung von Alltagserscheinungen des modernen Lebens. In seinen Abhandlungen über den Fremden, den Raum, das Geld, die Großstadt oder über das ethische Problem der Freiheit – um hier nur eine kleine Auswahl zu nennen – offenbaren sich Simmels beeindruckende phänomenologische Beobachtungsgabe und analytisch präzise Genauigkeit. Zugleich schält sich in den Essays eine bis heute noch aktuelle kulturelle Zeitdiagnose heraus.
In diesem Band werden die Konturen einer Wissenssoziologie bei Simmel aufgezeigt und in Beziehung zum biografischen Kontext und wissenschaftlichen Habitus dieses Klassikers gesetzt.
Cuprins
I. Einleitung: Konturen einer Wissenssoziologie im Denken von Simmel
II. Biografische Stationen eines prominenten Außenseiters im akademischen Milieu des Wilhelminismus
III. Die Sinnhaftigkeit des Alltäglichen und die Trajektorie der modernen Kultur
III.1 Vom Henkel zum Individuum –eine strukturell-analytische Phänomenologie
III.2 Zwischen Neurasthenie und individuellem Freiheitsgewinn – ein Sozialpsychogramm der Großstädter:innen
III.3 Auflösung alles Substantiellen und Hypertrophie der objektiven Kultur – eine Zeitdiagnose der modernen Gegenwartsgesellschaft
IV. Zwischen Kantianismus und Sozialkonstruktivismus
IV.1 Die fachwissenschaftlich-grundlagentheoretische Adaption Kants
IV.2 Der Raum als ›seelischer Inhalt‹ und die verräumlichte Vergesellschaftung
IV.3 Die intersubjektive Erfahrung, vergesellschaftet zu sein
IV.4 Geheimhaltung und Koketterie als interaktive Handlungsvollzüge
V. Wechselwirkung als heuristisches Grundprinzip einer dynamisierten Theoriebildung
V.1 Von der physikalischen zur sozialen Dynamik
V.2 Das Geld als regulatives Weltprinzip und die korrelationistische Wahrheitstheorie
VI. Simmel als ein Wegbereiter der Wissenssoziologie
VI.1 Rezeption und Wirkungsgeschichte
VI.2 Was kann Simmel der heutigen Wissenssoziologie bieten?
VII. Literatur
VII.1 Schriften von Georg Simmel
VII.2 Sekundärliteratur und weitere zitierte Literatur
VIII. Zeittafel
Personenregister
Sachregister
Despre autor
Uwe Krähnke, Jg. 1967; studierte Sozialwissenschaften an der HU Berlin. Er promovierte an der TU Chemnitz und habilitierte an der HU Berlin. Seit 2018 ist er Professor für Qualitative Forschungsmethoden an der Medical School Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Moderne als dynamisierte Gesellschaft; Lebensführung in gierigen Institutionen und psychische Belastungen in der Arbeitswelt