Die psychodynamische Psychotherapie durchläuft seit ihren Anfängen im psychoanalytischen Standardverfahren eine spannungsreiche Entwicklung. In den vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen der tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Psychotherapie sowie im Verhältnis zur Verhaltenstherapie stellt ihr weites Spektrum die Frage nach einer historischen Einordnung, einer aktuellen Bestandsaufnahme sowie einem perspektivischen Ausblick.
Günter Gödde erweitert die praktischen Dimensionen psychodynamischer Psychotherapie um eine richtungsweisende theoretische Grundlegung: In plastischer Weise legt er dazu die Wende von einem neurologischen zu einem psychodynamischen Paradigma psychischer Prozesse dar und zeigt anschaulich, wie sich nach Freuds Tod schrittweise eine Pluralität diverser Therapiekonzeptionen entwickelte und wie Konzepte der Intersubjektivität und der therapeutischen Lebenskunst für neue Akzente sorgten. Göddes historisches Nachzeichnen dieser Entwicklungslinien psychodynamischer Psychotherapie setzt schließlich zentrale Wegmarken für eine zukunftsorientierte und selbstbewusste Therapiepraxis.
Содержание
Einleitung
Teil I: Die Anfänge psychoanalytischer Psychotherapie und ihre Nachwirkungen
Teil II: Der Wechsel zur »Zwei-Personen-Psychologie« und zum intersubjektiven Paradigma
Teil III: Das therapeutische Konzept der »Lebenskunst« – eine neue Perspektive
Teil IV: Zu Gegenwart und Zukunft der psychodynamischen Psychotherapie
Teil I
Die Anfänge psychoanalytischer Psychotherapie und ihre Nachwirkungen
1. Der Weg zur Konzeption des »dynamisch Unbewussten«
Charcots neurologisches Paradigma der Hysterie
Pierre Janets psychologische Annäherung an unbewusste Prozesse
Breuers Beitrag zur Hysterie-Forschung und seine Grenzen
Die Wende vom neurologischen zum psychologischen Paradigma
Freuds Weichenstellung zur Psychologie des Unbewussten
2. Von der kathartischen Therapiemethode zum psychoanalytischen Verfahren
Die Anfänge der modernen Psychotherapie
Das Ursprungsmodell einer kathartischen Psychotherapie
Jacob Bernays’ Katharsis-Interpretation als Basis für das kathartische Therapiemodell
Die Grundregeln freier Assoziation und gleichschwebender Aufmerksamkeit
Der Übergang von einer »ekstatischen« zu einer »asketischen« Methode
Das Fortwirken des Heilfaktors Katharsis bei Ferenczi und seinen Nachfolgern
Vom »Rapport« zur »Übertragung« – Phänomene intensiver Gefühlsbeziehung
3. Freuds Therapie-Metaphern und ihre Botschaften
Zur Bedeutung der Metaphern des therapeutischen Erkennens
Therapie-Metaphern in den Frühschriften zur Hysterie
Therapie-Metaphern in den Schriften zur Behandlungstechnik
Therapie-Metaphern aus verschiedenen kulturellen Sphären
Therapie-Metaphern im Wandel – open to revision
Zwischenfazit I: Zur Aktualität von Sigmund Freud
Teil II
Der Wechsel zur »Zweipersonen-Psychologie« und zum intersubjektiven Paradigma
4. Die Weichenstellung zur therapeutischen Beziehung als zentralem Therapiefokus
Zur Polarität von »Einsichts-« und »Erlebnistherapie«
Von der intrapsychischen Konzeption des Unbewussten zum Beziehungsparadigma
Wende zum sozial-konstruktivistischen Paradigma der Übertragung
Die Bedeutung der Bindungs-, Mentalisierungs-, Säuglings- und Kleinkindforschung für die intersubjektive Orientierung
Weitere Entwicklungsschritte zum intersubjektiven Paradigma
Wechselseitige Anerkennung als intersubjektives Konzept
Zur Pluralität der psychodynamischen Konzepte
5. Der Takt als emotionaler Beziehungsregulator im therapeutischen Prozess
Der therapeutische Takt – ein Randthema im öffentlichen Diskurs
Der therapeutische Takt als Basiskompetenz der Deutungs- und Beziehungskunst
Empathie-Mängel im Kontext der »psychoanalytischen Situation«
Taktprobleme in der Therapeut-Patient-Beziehung aus intersubjektiver Sicht
Stufen der emotionalen Annäherung und Beziehungsgestaltung im therapeutischen Prozess
Familienähnlichkeit zwischen Takt und »Handhabung der Übertragung«
Der Takt als emotionaler Beziehungsregulator
Auseinandersetzung mit ethischen Maßstäben
6. Zwei Fälle von Depression und Unsicherheit aus therapeutischer Sicht
Erste Eindrücke von beiden Patienten
Lebensgeschichtliche Aspekte
Einschätzung der Unterschiede
Erfahrungen in der Therapie
Vergleich in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht
Der anthropologische Grundkonflikt zwischen Selbst- und Objektbezogensein
Zwischenfazit II: Zur Bedeutung der intersubjektiven Wende
Teil III
Das therapeutische Konzept der »Lebenskunst« – eine neue Perspektive
7. Lebenskunst als »implizites Konzept« der psychodynamischen Psychotherapie
Der aktuelle Diskurs über Lebenskunst
Die Kluft zwischen Theorie und Praxis in der psychodynamischen Psychotherapie
Behandlungstechnik versus Behandlungskunst
Fall-Konstellationen
Die implizite Verwendung von Lebenskunst-Konzepten in der psychodynamischen Psychotherapie
Implizite Lebenskunstkonzepte des Therapeuten – ein Fallbeispiel
Nähe zur existenziellen Psychotherapie
8. Erinnern und Vergessen als therapeutische Lebenskunst
Freuds Fokussierung auf das Erinnern
Nietzsches Fokussierung auf das Vergessen
Kunst des Erinnerns und Vergessens in der Psychotherapie
Ein therapeutisches Zwei-Stufen-Modell von Erinnern und Vergessen
9. Selbstsorge in der psychodynamischen Therapie – ein Fallbeispiel
Erschütterung des Selbst durch eine Krise
Lebensgeschichtlicher Rückblick
Exploration und Experiment in der Therapie
Erweiterung der Optionen und Vorbereitung einer Wahl
Umsetzung in die Lebenspraxis
Integration in einen neuen Lebensentwurf
Bezüge zu einer »kritischen Lebenskunst«
Zwischenfazit III: Zur therapeutischen Relevanz des Lebenskunstkonzepts
Teil IV
Zu Gegenwart und Zukunft der psychodynamischen Psychotherapie
10. Zur wissenschaftlichen und philosophischen Orientierung in der psychodynamischen Therapie
Das Problemfeld Wissenschaft
Szientismus versus Hermeneutik
Psychologie als »empirische Geisteswissenschaft«
Psychologie als Wissenschaft der »Komplementarität«
Die Frage nach dem Wissenschaftsstatus der Psychoanalyse
Der Einfluss der Wissenskulturen
Medizinisches versus sozialwissenschaftliches Therapiemodell
Wissenschaft und Profession: Nebeneinander statt Hierarchie
Keine Wissenschaft und Therapeutik ohne Philosophie
Philosophie als kritischer Gegenpart der Wissenschaften
Zur Bedeutung impliziter philosophischer Konzepte für die Therapeutik
11. Entwicklungslinien und Perspektiven der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
Zur Vorgeschichte der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
Einführung der TP als eigenständiges Richtlinienverfahren für Ärzte (1967)
Anerkennung der TP als eigenständiges Richtlinienverfahren für Psychologen (1998)
Die erste Konzeptualisierung der TP nach Einführung der Psychotherapie-Richtlinien
Die weitere Konzeptualisierung der TP nach Erlass des Psychotherapeutengesetzes
Unterschiede zwischen TP und AP im Rahmen der Therapie-Richtlinien
Kritische Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen TP und AP
12. Psychodynamische Psychotherapie im Spannungsfeld von gleichschwebender Aufmerksamkeit und Fokussierung
Freuds Empfehlung der »gleichschwebenden Aufmerksamkeit« als Ausgangspunkt
Gleichschwebende Aufmerksamkeit als ästhetische Erfahrung
»Hören mit dem dritten Ohr«
Charakteristika unterschiedlicher Modi des Hörens
Die Grenzen freier Assoziation und gleichschwebender Aufmerksamkeit
Vernachlässigung und Unterbewertung des fokalen Erkenntnismodus
Psychodynamischer Therapieprozess mit wechselnden Foki
Die Kunst der Beschreibung und der »Standpunkt der Standpunktlosigkeit«
Abschließende Diskussion – zur Kontroverse zwischen Tiefenpsychologisch fundierter
und Analytischer Psychotherapie
Danksagung
Literatur
Abbildungsnachweise