Die bürgerliche Gesellschaft und die sozialdemokratische Partei standen sich zumindest bis in die 1960er Jahre beinahe schroff gegenüber und beäugten einander misstrauisch. Auf der einen Seite wachten die durch Bildung und Besitz Privilegierten über den Erhalt ihrer Vorrechte, während auf der anderen Seite die von der Hand in den Mund lebenden Arbeiter wenigstens verbal die Revolution planten. Und dennoch überwanden einige diese scheinbar undurchdringliche Grenze, engagierten sich trotz ihrer bürgerlichen Herkunft, Normen und Wertvorstellungen innerhalb des sozialdemokratischen Milieus und reüssierten hier in beachtlichen Positionen – so wie Hedwig Wachenheim und Carlo Schmid. Doch wie fanden sich diese Bürgerlichen in der für sie fremden Welt der Arbeiterschaft zurecht? Mussten sie sich mit ihrem Habitus und ihrer Lebensweise nicht an den Umgangsformen und Ritualen der proletarischen Partei stoßen, und musste diese wiederum nicht zwangsläufig die bürgerlichen Eindringlinge als Feinde ablehnen? Warum begaben sich Angehörige der Bourgeoisie in die Tretmühlen jener Partei, und warum tolerierte diese die Sonderlinge? Mit Stine Harms Studie liegt nun erstmals eine Untersuchung darüber vor, wie Rollen und Selbstverständnisse der Sozialdemokraten mit bürgerlicher Herkunft, aber auch die ihnen entgegengebrachten Vorurteile und Ressentiments innerhalb der Arbeiterpartei ineinander und gegeneinander gespielt haben. Dabei stützt sie sich exemplarisch auf die politischen Biographien Carlo Schmids und Hedwig Wachenheims.
Об авторе
Stine Harm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Zuletzt erschien von ihr der Band ‘Patt oder Gezeitenwechsel’ (hrsg. gemeinsam mit Felix Butzlaff und Franz Walter).