»Das Gebiet des Sittlichen ist weit, es umfaßt auch das Unsittliche.« Aus diesen Zeilen spricht die Bestürzung eines Mannes, der, wie wir heute wissen, seine eigene Homosexualität lebenslang unterdrückt hat: »Ich bescheinige Ihnen unumwunden, dass die Gedichte erschütternd unzüchtig sind.« Thomas Mann bezieht sich auf die freimütige Beschreibung homosexueller Szenen bei Paul Verlaine, den er als Lyriker grundsätzlich außerordentlich schätzte. Der Verleger Paul Steegemann hatte ihm zwei Gedichtbände Verlaines, ›Frauen‹ und ›Männer‹, vor der Veröffentlichung zugesandt und um eine Stellungnahme gebeten. Datiert ist das Schreiben auf den 18. August 1920, ein Abdruck ergab sich zunächst nicht. Erst ein Dreivierteljahr später erbat Mann den Brief zurück und veröffentlichte ihn im Rahmen von ›Reden und Aufsätze‹ (1922).
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Thomas Mann, 1875–1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb.